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Geschlechtern sehr wenig und gar selten, daß ein Mensch den andern vom Herzen liebt. Im Gegenteil, wenn einer den andern kann in Grund verderben, geschieht es gern. Daß Eltern ihre Kinder lieben, das ist kein Wunder, das sehen wir und finden wir bei den unvernünftigen Tieren, die ihre Jungen haben und trachten, sie zu ernähren, solange bis sie sich selbst ernähren können. Dann werden sie von ihren Eltern verlassen. Wir Menschen sind in dem Stück besser und verständiger. Nicht allein, daß wir suchen, unsere Kinder zu erziehen und zu ernähren bis sie groß sind und uns missen können, sondern wir Menschen trachten für unserer Kinder Wohlergehen, solange wir leben. Wenn man auch schon manchen finden könnte, der sagen sollte: »Ei, was soll mir, daß ich soll ewig trachten und sorgen für meine Kinder? Ist es nicht genug, daß ich sie erzieh und für sie sorg und tracht, daß ich sie verheirate und ihnen eine ehrliche Mitgift nachgebe und sie zu ehrlichen Leuten bringe? Weiter mögen sie für sich selbst sorgen, daß sie an ihr Brot kommen«. Sicher ist das der rechte Weg und wär auch ganz recht und gut und billig. Denn wird denn der Mensch ewig ein Sklave sein? Ja, das kann wohl angehen und ist auch ein rechter Weg, solange es den Kindern und nächsten Freunden nach Wunsch wohl ergeht. Aber geht es – Gott bewahre – konträr, welcher Mensch, der ein vernünftig Herz in sich hat, kann es lassen und nicht die Last von seinen Kindern und nächsten Freunden tragen? »Rahel weint über ihre Kinder.«

»Ich bin der Mann, der die Pein erlebt hat.« Sicher ist ein größerer Kummer, an seinen Kindern Elend zu sehen als an sich selbst. Und nach meinem kleinen Verstand wäre es unserem Ältervater Abraham nicht so schwer angekommen, wenn es umgekehrt gewesen wäre, daß man ihn selbst hätte schächten sollen, als daß er seinen eigenen Sohn hat schächten sollen, »denn wer kann sehen, wie sein Kind verloren geht«.

Doch hat der liebe Abraham alles getan aus Liebe zu Gott – gelobt sei er – und darum ist ihm alles nicht

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Glikl bas Judah Leib: Die Memoiren der Glückel von Hameln. Wien, 1910, Seite 15. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Glueckel_015.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)