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elendiglich leben. Hingegen findet man wiederum viele Böse, die in großem Wohlstand tagen und in Reichtum leben. Es geht ihren Kindern gar wohl, dagegen es den Gerechten und Gottesfürchtigen nebbich und ihren Kindern gar übel ergeht. Nun wollten wir uns Gedanken machen, wie kann das sein, Gott der Allmächtige ist ja ein gerechter Richter. Ich hab mir aber gedacht, auch das ist eitel, denn die Werke des Allmächtigen – gelobt sei er – sind unmöglich auszudenken und zu ergründen. Unser Gesetzgeber Moses hat es gerne wollen und hat gesagt: »Mache mir Deine Wege bekannt«, ist aber nicht dazugekommen. Darum sollen wir nicht darüber grübeln. Das ist auf alle Fälle gewiß, daß diese Welt zu keinem anderen Zweck erschaffen worden ist, als wegen jener Welt. Und darum hat uns Gott in seiner großen Gnade in diese Welt, die nichts und vergänglich ist, gestellt, damit wenn wir wohl tun und unserem großen Herrn wohl dienen, dann bringt er uns unbedingt aus der beschwerlich mühseligen Welt in eitel Ruhe und Sänftigkeit.

Es besteht all unser Übel- und Wohlleben in dieser Welt nur für eine kleine Zeit. Des Menschen Leben ist gesetzt auf siebzig Jahre, wie bald sind die hin. Wieviel hunderttausend Menschen sind, die lange auch das nicht erreichen; aber das Jenseits ist immer und ewig. »Wie groß ist die Güte, die du denen bewahrst, die dich fürchten.« Wohl dem, dem Gott Lohn gibt im Jenseits, im ewigen und unvergänglichen. Denn alle Bedrängnis, Sorgen und Unheil, die der Mensch auf dieser Welt hat, sind nur eine Zeitlang.

Wenn der Mensch all seine Nöten, Leid und Widerwärtigkeiten ausgestanden hat und seine Stunde ist abgelaufen, daß er sterben soll, alsdann stirbt er mit denen allen zugleich, welche ihre Tage in großer Wollust gelebt haben. Jedoch jener Arme, der nebbich seine Tage in Nöten und Leid zugebracht hat, stirbt sicher ruhig, denn: »Auf diesen Tag hab ich gewartet.« Er ist nebbich alle Tage gestorben und hat allzeit seine Zuversicht in Gott gehabt, daß es ihm im Jenseits besser gehen werde, und hat immer behauptet, er habe eine Schuld bei Gott – denn all seine Freude und

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Glikl bas Judah Leib: Die Memoiren der Glückel von Hameln. Wien, 1910, Seite 2. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Glueckel_002.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)