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8. Aftermystiker M. Boos.

Doch größere Beachtung unter den Stiftskanonikern als die zwei vorausgehenden Ettlinger und Epp verdient wohl der Aftermystiker Martin Boos, der von 1792 an bis 1799 Kanoniker hiesigen Stifts war. Mit Recht wird Martin Boos der Patriarch des Aftermystizismus genannt. Es ist dieser Aftermystizismus, auch Irwingianische Irrlehre oder vulgär Lindlianismus genannt, eine sonderbare Mischung von katholischen und protestantischen Ideen, durchhaucht von einem eigentümlichen mystischen, schwärmerischen Anflug, die am Ende des 18. und anfangs und Mitte des 19. Jahrhunderts in vielen Gegenden auch in unserer Diözese auftraten und ganze Gemeinden samt Pfarrherren ergriffen. Erweckung und Auserwählung einzelner, Wiederkunft Christi und Stiftung eines Friedensreiches waren die Schlagworte; großartige Nächstenliebe, die werktätig sich überall erwies, verbunden mit einer süßlichen Frömmelei und scheinbarem Asketentum, gleichwohl aber auch vermengt mit Sinnlichkeit, indem oscula pacis und amplexus mutui unter den Anhängern dieses Glaubens männlichen und weiblichen Geschlechtes vorkamen und geschlechtliche Ausschweifungen in letzter Konsequenz bei den geheimen Konventikeln und Zusammenkünften auftraten, lockte die Leute an.[1]

Martin Boos ist nunmehr der eigentliche Begründer dieser neuen sektirischen Schwärmerei; er war geboren 1756 oder 1757 in Huttenried, studierte in Augsburg bei den Exjesuiten, – sein Onkel war der Domkapitular, Sigillifer und Fiskal Johann Kögl in Augsburg, – wurde sogar Präfekt der marianischen Kongregation unter den Studierenden; seine Universitätsstudien machte er in Dillingen, seine Lehrer waren Weber, Zimmer und Sailer. Ende der 1780er Jahre wurde er Kaplan in Unterthingau, las vielfach protestantische Mystiker und 1790 erfolgte seine Erweckung! 1791 kam er als Stiftskaplan nach Kempten und von da gar bald als 4. Kanonikus nach Grönenbach. Im hiesigen Pfarrarchiv ist ein Empfehlungsschreiben, d. d. 10. Dezember 1791 vom Onkel des Martin Boos, H. Domkapitular und Fiskal Johann Kögl, worinnen vermerkt: „Ich empfehle Ew. Hochw. diesen meinen ex sorore Nepotem angelegentlichst und ich hoffe, daß er sowohl in Rücksicht seiner Sitten als seelsorgerlichen Verrichtungen sich selbst recommandieren wird. Ich bitte also, Ew.


  1. Spottvers: „Mir ist so seitwärts schielerich, ganz seitenheimwärts fühlerisch, ganz lammschweißspur beriecherlich, ganz lammherzgruft durchkriecherlich an der magnetischen Seite.“