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unter solchen Umständen, bey solchen Vorstellungen möglich war. Denkt, dass die Aufforderungen entsezlich seyn müssen, welche eine sonst untadelhafte Mutter bewegen können, gegen ihr eigenes Eingeweid zu wüthen, und die engsten Bande der Natur zu zerreissen. Ihr müsst finden, wenn ihr dies überlegen wollt, dass eine solche Handlung nicht willkührlich sey; dass ein Mensch in solchen Fällen entweder gar kein Gefühl von Ehre haben müsse, oder dass er hinlängliche Macht habe, sich über alle widrigen Folgen der Verachtung hinauszusetzen, wenn er den Ausgang ruhig erwarten kann. Ihr müsst finden, dass diese Handlung, die Abtreibung der Frucht, eine unwillkührliche Folge des ersten Vergehen sey, dass, wenn Ihr also diesem leztern steuern wollt, eure Vorsorge dahin gehen müsse, dass Ihr die Quelle dieses Übels, die Unzucht, vermindert. Ihr würdet mit mir vermuthen, dass, wenn es gleich weniger und nicht allzeit, bekannt wird, unter hundert ehrliebenden gefallenen Mädchen kaum eine einzige sey, welche sich nicht, um ihre Ehre zu retten, zu ähnlichen äussersten Mitteln werkthätig entschliesst. — Hört doch die Stimme der Menschheit und Vernunft, und ich will gerne diesen Fehler selbst begangen, diesen Drang und diese Schande selbst erfahren haben. Ich freue mich, sie erfahren zu haben, wenn mein Beyspiel dazu dienen kann, unsere Geseze menschlicher zu verfassen, hart zu diesem Ende empfunden zu haben. Andere empfinden ebenfalls weniger oder mehr.

Ich sehe vor meinen Augen eine Person, die ich so sehr geliebt, welcher ich soviel zu danken hatte, deren Glück ich zu machen dachte, eine Person von exemplarischen Sitten und Tugend, welche nun der grösste Trost meines Lebens, und das kostbarste Geschenk des Himmels ist, welche alle Widerwärtigkeiten meines Lebens mit Muth und Standhaftigkeit mit mir theilt, welche in diesem Stück der Stolz eines jeden Römers gewesen seyn würde: — Diese Person sah ich durch meine Uebereilung, und durch die geflissentliche Verzögerung einer höchst natürlichen Sache, entehrt, der Verachtung der Welt, dem Unwillen und Fluch ihrer Eltern und Verwandten, und der Ahndung der Gesetze ausgestellt, preisgegeben, unglücklich für alle Zeiten. Ich selbst hatte ein unbescholtenes Leben geführt, eben dieser gute Ruf, und die Reinheit meiner Sitten, hatten mich in den Stand gesetzt, so manches Gute zu würken. Ich war öffentlicher Lehrer; mein widriges Beyspiel konnte so viele Jünglinge verderben. Die Mitglieder meines Ordens hatten vorzüglich alle

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Leopold Engel: Geschichte des Illuminaten-Ordens. Berlin: Hugo Bermühler Verlag, 1906, Seite 219. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Geschichte_des_Illuminaten-Ordens_(Engel)_219.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)