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und Vaterlandsliebe sucht man ganz aus dem Herzen der jungen Leute zu verdrängen. Patriotismus erklärt man für ein kindisches, der Menschheit höchst schädliches Hirngespinst und das ist ein Grundsatz, Zweck heiligt die Mittel. Man predigt, dass der Selbstmord erlaubt sey, sobald man der Menschheit dadurch einen Dienst thuen kann. Man macht überhaupt die jungen Leute so enthusiastisch für diese Gesellschaft, dass nur derjenige geliebt ist, der Bruder heisst, und dass man denjenigen allgemein verfolgen muss, der als Bruder wider die Einrichtung dieser Gesellschaft etwas vornimmt. Es ist ein Grundsatz der Oberen, junge Leute und Mitglieder sollen handeln par passion, non par raison; sie sollen thun, was der Orden ihnen befiehlt ohne zu fragen warum? Der erste Grad ist sozusagen die Prüfungsschule, das Noviziat, wo die Candidaten unterrichtet und der Orden ihnen als die einzige Schule der Menschenliebe, als die Schule der Moralität vorgestellt, so dass er nach und nach an das System und die Denkensart des Ordens gewöhnt wird; er bleibt so lange in dieser Schule, bis man sich ganz auf ihn verlassen darf, bis er ganz dem Orden zugehört. Dann kommt er zum II., III. und IV. Grad, welche eigentlich nur ein Grad sind, wo die Brüder einander selbst studieren, dem Orden ihre Leidenschaften und Fehler, ihr Gutes und Böses verraten müssen, denn jedem wird aufgetragen, seine Brüder nach Folgendem zu beurteilen und diese Beurteilung einzugestehen.

1) Gemütsart, ist er wie im Grade der kleinen Illuminatenversammlung vorgeschrieben ist — oder erfolglos: handelt er gerade aus, oder verstellt er sich gern? Gegen wen? Interessiert ihn das Schicksal anderer? oder sorgt er nur für sich? Arbeitet er gerne? Ist er in seinen Handlungen rechtschaffen? lässt er sich davon abbringen? Durch Drohungen, Liebkosungen, Gold, Frauenzimmer, Ungnade, Verfolgung, Unglück, Freundschaft, Hass, Rachgier, Versprechen, Beförderungen, wann er ungestraft das Gegenteil thun kann? Ist er im Schmerz geschwätzig, wortreich, oder still und stumm? Ist sein Schmerz lange anhaltend? Ist er fröhlich und heiter?

2) Leydenschaften. Hat er starke Leydenschaften? welcher ist er am meisten ergeben? Kann er einem gegenwärtigen, lebhaften, peinlichen Eindruck widerstehen? Hat er einen Hang zur Schwermuth, die Leydenschaft zum Grunde

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Leopold Engel: Geschichte des Illuminaten-Ordens. Berlin: Hugo Bermühler Verlag, 1906, Seite 184. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Geschichte_des_Illuminaten-Ordens_(Engel)_184.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)