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entweder mit gutem Rath, oder mit wirklicher Hilfe, oder mit trostreichem Zusprechen, oder doch mit herzlichem Gebet und Seufzen.

     Wie nun die Noth des Nächsten mancherlei ist, also findet die Barmherzigkeit auch immer zu thun, sonderlich in diesen letzten schweren und betrübten Zeiten, da ich nicht weiß, ob irgend ein recht christliches Herz jemals stille sein kann, es muß immer wallen, jammern, helfen, rathen und trösten, weil alles mit Armuth und Elend, Trübsal, Angst und Noth erfüllet ist. Bald kommt ihm vor ein armer Mensch, der mit seiner täglichen schweren Arbeit es nirgends hinbringen kann, welchen die Kriegsdrangsale, Krankheiten oder andere Unfälle ganz ausgemergelt haben, dessen Kinder nackend gehen und nach Brod schreien: da muß es helfen speisen, tränken, kleiden und das verzagte Herz stärken. Bald findet sich eine arme Wittwe mit einem Häuflein verlaßener Waisen: diese muß es in ihrer Trübsal besuchen und sich ihrer nach Vermögen treulich annehmen. Bald hört es von einem Bedrängten, und durch Ungerechtigkeit und Gewaltthätigkeit hochbeleidigten Menschen: da muß es ein Fürsprecher werden und ihn nach Möglichkeiten schützen, vertheidigen und erretten, oder doch wenigstens nebst ihm über die Bosheit der Welt seufzen und ihm tröstlich sein. Bald sagt man ihm von einem Kranken, der in einem schweren und langwierigen Lager fast kleinmüthig und trostlos geworden ist: den muß es besuchen und sein Arzt und Pfleger werden und nach Vermögen dahin sehen, daß er entweder von der Krankheit befreit oder doch mit nothwendiger Pflege versehen und nicht hilflos gelaßen werde. Zuweilen wird ihm kund gethan, daß ein angefochtenes und beängstetes Gewißen in der Nähe sei: hat es nun Erfahrung und weiß, wie einem solchen Herzen zu Muthe und wie ihm beizukommen und zu helfen ist, so hilft es mit liebreicher Seele; wo nicht, so setzt es seine Seufzer und Thränen bei ihm auf und ruft ängstiglich zu Gott um Trost und Hilfe. Hört es dann von einigen, die unschuldigerweise verstrickt oder in barbarische Dienstbarkeit verfallen sind, so gedenkt es der Gebundenen als Mitgebundener; es trägt gerne bei, was es kann, zu ihrer Erlösung mit Fürbitt und wirklicher Hilfe und ruft Gott an, daß er sie im Glauben erhalten und ihnen beständige Geduld bis an ihr Ende geben wolle. Hört es dann von einem Sterbenden, so wohnt es ihm gern mit seinem Gebete, Pflege und Trost bei bis an’s Ende; und wenn das erfolgt ist, hilft es nach allem Vermögen den Leib christlich und ehrlich zu bestatten.


Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Etwas aus der Geschichte des Diaconissenhauses Neuendettelsau. Verlag von Gottfried Löhe, Nürnberg 1870, Seite 58. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Geschichte_des_Diaconissenhauses_Neuendettelsau_(1870)_058.png&oldid=- (Version vom 1.8.2018)