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was sollte nicht die Menge der Gläubigen mit ihrem gesammten Seufzen ausrichten? Bist du dann arm, verlaßen, betrübt, angefochten, krank, verfolgt, gefangen? Gedenke, wenn etwa deine Noth so groß wäre, daß du nicht recht beten könntest, wie in Schrecken, Krankheiten und schweren Anfechtungen wohl geschieht, daß die ganze Menge der Gläubigen täglich bittet für die armen, elenden und verlaßenen, für die angefochtenen Herzen und beängstigten Gewißen, für die Kranken, für die unschuldig Gefangenen, für die Verfolgten und Bedrängten etc., welches allgemeine Gebet seinen großen Nutzen hat, dessen alle, die in der Gemeinschaft Christi sind, vornehmlich, und dann auch öfters, die noch nicht drinnen sind, genießen. – Der Unterricht aber oder die Lehre ist diese, daß alle gläubigen Seelen nothwendig müßen mitleidig, barmherzig und gutthätig sein. Sie müßen ihres Nächsten Noth mit einem liebreichen Herzen ansehen und sich straks geneigt befinden, demselben mit Rath, Hilf und Trost beizuspringen. Die aber hartes Herzens sind und ihres Nächsten Noth nicht empfinden oder achten, die haben nicht Ursach, von ihrem Christenthum sich allzugroße Hoffnung zu machen.


Erster Knabe:

     Das ist gewislich wahr. Christen sind Glieder am Leibe Christi. Ein Glied fühlet des andern Schmerzen. Weinen die Augen, so kommen alsbald die Hände und trocknen sie. Christen kennen sich unter einander, denn sie haben alle Christum angezogen. Kommt ein dürftiger Bruder zu ihnen, so sprechen sie: den kenn ich wohl an seinem Kleide, der ist mein HErr Jesus; sie eilen ihm entgegen und dienen ihm. Auch wohnt Ein Geist in allen Gläubigen, der verbindet ihre Herzen und zündet ein heimliches Flämmlein an, daß der eine dem andern in Gott hold und günstig wird.


Zweiter Knabe:

     Amen, das ist gewislich war. Du darfst also nicht fragen, was du thun sollst äußerlich: siehe auf deinen Nächsten, da wirst du zu thun finden, und wenn dein tausend wären. Verführe dich nur selbst nicht; denke nur nicht, daß du mit Beten und Kirchengehen oder Stiften oder Gedächtnissen wirst gen Himmel kommen, so du vor deinem Nächsten übergehest. Gehst du vor ihm über, so wird er dort im Wege liegen, daß du mußt wieder vor des Himmels Pforte übergehen wie der reiche Mann.


Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Etwas aus der Geschichte des Diaconissenhauses Neuendettelsau. Verlag von Gottfried Löhe, Nürnberg 1870, Seite 56. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Geschichte_des_Diaconissenhauses_Neuendettelsau_(1870)_056.png&oldid=- (Version vom 1.8.2018)