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Schade. Spener hielt gegen diesen an beidem fest; aber er legte mit Luther das Gewicht nicht darauf, daß über die wirkliche Versöhnung des Beichtenden ein zutreffendes oder überhaupt ein Urtheil gesprochen werde, wozu die Orthodoxen neigten und was auch Schade’s unrichtiger und für ihn unendlich peinlicher Anspruch an eine zulässige Beichtordnung war, sondern statt eines judiciellen Aktes über die Person war ihm die Beichte nur die Darbietung der Sündenvergebung nicht bloß an die schon Gläubigen, sondern auch an die glauben Sollenden, auf die nun freilich die Verantwortung fällt, ob sie die zuvorkommend ihnen dargereichte Gnade durch Glauben wollen wirksam oder durch Unglauben vereitelt werden lassen, nur daß die Kirche sich hüte, das Heiligthum vor die Säue zu werfen. – Endlich was die Laienwelt angeht, so legitimirte sich jene Identifikation der sichtbaren und der unsichtbaren Kirche durch die Lehre von der Taufe. Conr. Dilfeld fand Speners ernste Aufforderung, daß die jungen Theologen die Erleuchtung des heiligen Geistes und die Wiedergeburt suchen sollen, überflüssig. Es bedürfe keiner besondern weitern illuminatio durch den heiligen Geist für die studiosi theologiae. Alle seien durch die Taufe wiedergeboren und haben den heiligen Geist einmal für immer.[1] Und wenn einer diese Wiedergeburt in seinem Leben nicht bezeuge, so hindere das zwar seine Seligkeit, aber nicht sein theologisches Studium. Ein Wiedergeborner habe aber überhaupt bei Erlernung der Theologie vor einem Unwiedergebornen nichts voraus. Plato und Aristoteles hätten aus fleißigem Studium der heiligen Schrift Theologen werden können, wenn sie gleich die mysteria fidei für Fabeln gehalten hätten. Spener, wenn er daher noch auf besondere Erleuchtung dringe, müsse wollen, daß die Leute sich nicht zu Theologen, sondern zu Propheten bilden sollen, und damit komme seine geheime Enthusiasterei an den Tag. Wir sind hiedurch mitten in die Frage über die Theologia irregenitorum versetzt, mit welcher die theologische Seite des Streites sich eröffnete.

Die mitgetheilten Aussprüche von Seiten der sogenannten Orthodoxen zeigen, daß ihnen die Kirche wieder zu einem in sich selbst centrirenden Wesen von unmittelbarer göttlicher Autorität geworden war, mit göttlichen Kräften und Vollmachten einmal für immer ausgestattet, so daß der heilige Geist


  1. a. a. O. S. 76.
Empfohlene Zitierweise:
Isaak August Dorner: Spener und der Pietismus. J.G. Cotta, München 1867, Seite 634. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Geschichte_der_protestantischen_Theologie_634.png&oldid=- (Version vom 1.8.2018)