Seite:Geschichte der protestantischen Theologie 629.png

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

Schlag wie nach einem verabredeten Plane literarisch mißhandelt. Aber die Angriffe waren so ungeschickt, maßlos ungerecht und Blößen gebend, daß das öffentliche Urtheil der Gemeinde durch sie wie durch Speners gelungene und unermüdliche Vertheidigung nur zu Gunsten des Pietismus gestimmt werden konnte, obwohl da und dort auch schon Ausartungen sich eingestellt hatten. So trat der Pietismus in seine zweite Epoche ein, die von Speners Tod (Februar 1705) bis ins vierte Jahrzehent des vorigen Jahrhunderts reicht.

Der Kampf dauerte zwar noch fort, ja jetzt erst fand die Orthodoxie einen würdigeren, durch Frömmigkeit wie Gelehrsamkeit ausgezeichneten Vertreter an Val. Ernst Löscher,[1] (Superintendent in Dresden † 1749), in seinen Unschuldigen Nachrichten von 1702–1719 und seinem Timotheus Verinus in 2 Bänden, dem als nicht ebenbürtiger, der Ruhe und Demuth ermangelnder Gegner Joachim Lange[2] gegenüberstand. Jetzt erst wurde der Kampf wissenschaftlicher geführt, indem man beiderseits versuchte, den gegnerischen Standpunkt auf die Einheit eines Princips zurückzuführen. Aber diese Streitliteratur führte so wenig als das durch Löscher veranlaßte Friedensgespräch zu Merseburg zu einer Verständigung. Löscher ließ nicht ab von den dogmatischen Sätzen, die mit Recht dem Pietismus Anstoß gegeben, ja er verschärfte sie zum Theil; als Schriftsteller führte er die Anklagen fort, die in mündlichen Verhandlungen sich schienen beruhigt zu haben. Der Pietismus aber fühlte sich in überlegener Kraft und ging zum Angriff über. So konnte nur der Erfolg über den Sieg entscheiden, und dieser war der Orthodoxie ungünstig. Löscher stand allmählig im Kampf fast allein und wurde Freund und Feind beschwerlich. Auch orthodoxe Theologen, wie Buddeus,[3] zogen sich von ihm zurück und die Mehrzahl der bedeutenderen jüngeren Kräfte zog es vor, eine Vereinigung von Orthodoxie und Mystik zu suchen, wie sie Val. E. Löscher wohl mit dem Verstande als das, was Noth thue, erkannt hatte, aber ohne in der ihm eigenen dogmatischen Steifheit noch im Stande zu sein, dieser Erkenntnis in seiner Theologie Folge zu geben.


  1. Vgl. v. Engelhardt, V. E. Löscher nach seinem Leben und Wirken 1856. [Valentin Ernst Löscher, 1673–1749]
  2. J. Lange: Antibarbarus orthodoxiae dogmatico-hermeneuticus 1709–11; Die Gestalt des Kreuzreichs Christi in seiner Unschuld 1713. Erläuterung der neuesten Historie der evangelischen Kirche von 1689–1719. Halle 1719.
  3. [Johann Franz Buddeus, 1667–1729, Professor für Theologie in Jena]
Empfohlene Zitierweise:
Isaak August Dorner: Spener und der Pietismus. J.G. Cotta, München 1867, Seite 629. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Geschichte_der_protestantischen_Theologie_629.png&oldid=- (Version vom 1.8.2018)