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gewärtig, und jeden Augenblick konnte er erwarten, selbst von entfernten Kirchspielen seines Landes in Anspruch genommen zu werden; denn der dithmarsische Bauer gehörte vor allen Dingen nicht sich selbst, sondern seinem Geschlechte an, deren es viele im Lande gab, sowohl friesischer als sächsischer und westfälischer Art. Jedes Geschlecht aber, wenn es stark war, konnte etwa hundert Mann Bewaffnete stellen, das der Woldersmen sogar gegen fünfhundert. Diese Geschlechter theilten sich wieder ein in Unterabtheilungen, in das, was wir Linien nennen (welches noch immer wohl zu unterscheiden ist von unsern Familien) und welches die Dithmarschen Klüfte nannten. Für Geschlecht und Kluft hatte der Dithmarscher eigenthümliche Verpflichtungen, besonders in Gerichtssachen, seitdem die Vereinigung nach Geschlechtern im Kampfe, diese alte deutsche Sitte, aufgehört hatte. Diese Klüfte machten den Stolz des Dithmarschers und entfesselten seine ganze Anstrengung; sie nahmen alle seine körperliche, geistige, ja sogar sittliche Kraft in Anspruch; sie konnten ihn in gewissem Maße bereichern; war z. B. ein Kluftvetter erschlagen, so kam der Kluft die Mannbuße zu. Aber die Verbindung kostete auch Geld, wenn z. B. für einen Kluftvetter, der wegen eines Versehens in Anspruch genommen ward und nicht bezahlen konnte, der Beitrag geleistet werden mußte; da durfte denn keiner zurückbleiben, und wenn einer nicht zur rechten Zeit bezahlte, wurde er von seinen Kluftvettern dazu angehalten.

Diese ganze Geschlechts- und Kluftsverbindung brachte es mit sich, daß der Blick des dithmarsischen Bauern nicht haften blieb an dem engen Kreise des Hauswesens und nützlichen Gewerbes, sondern daß er von Kindheit auf erweitert ward über mehrere Menschen, Kluftvettern, Geschlechtsvettern, Kirchspiele, das ganze Land; vorzüglich fesselten erstere seine Aufmersamkeit; mit ihnen hatte er Wohl und Wehe zu theilen, mit ihnen zu berathen, denn ihr Glück war zum Theil auch das seine und ihr Unglück traf auch ihn. Dann aber hatte er auch in vorkommenden Fällen mit seinem Gewissen manchen harten Kampf zu bestehen; war z. B. einer seiner Kluftvettern angeklagt, so

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Wilhelm Heinrich Kolster: Geschichte Dithmarschens. Nach F. C. Dahlmanns Vorlesungen im Winter 1826. Wilhelm Mauke, Leipzig 1873, Seite 91. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Geschichte_Dithmarschens_Kolster_1873.pdf/110&oldid=- (Version vom 14.6.2018)