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Alle gewöhnlichen Beziehungen des Lebens sind längst so oft abgehaspelt, daß keiner sie mehr niederschreiben, geschweige lesen möchte, daher spinnen jetzt die Belustigungsschreiber Außerordentliches, und Paris liefert uns saubergeschriebene Pulververschwörungen, Höllenmaschinen und Schandpfähle, die auf einen ordentlichen Mann ihren Eindruck nicht verfehlen. Von der Tonkunst gilt dasselbe; und wir Deutschen sind alte Perücken, wenn wir glauben, daß es mit den Bardieten (das Wort scheint mir für Symphonie nicht unpassend)[H 1] unseres Haydn, Mozart und Beethoven rein abgeschlossen, daß überhaupt etwas Würziges an diesen Sachen sei, und daß sich die feingebildete Menge dafür geben könnte, so etwas anzuhören. Eingestehen laßt uns, daß uns der Franke Berlioz[H 2] eine neue Bahn gebrochen, und daß dieser erst recht ausgeführt hat, wonach der gute Vater Haydn in seiner Kindersymphonie tappte, wonach Beethoven in seiner Schlacht bei Vittoria spürte.[H 3]

Was vor Allem zu beachten, ist dies, daß ein gutgewähltes Schild immer den Gasthof und den Laden füllt, und daß die Menge sich nicht allein mit Broten sondern auch mit Worten abspeisen läßt; Ueberschriften sind uns also für unser Werk nöthig, und wahrlich tüchtige; statt aber nun meinen Bardiethelden im Opium sich übernehmen zu lassen, statt ihn auf die Galeere zu liefern oder nach dem Blutgerüste zu fahren, statt überhaupt einen solchen mir zu suchen, wähle ich blos sinnreich

Anmerkungen (H)

  1. [WS] siehe dazu Gotthold Wedel’s Verdeutschungsvorschlägen.
  2. [WS] Hector Berlioz (1803–1869), seine Symphonie fantastique – Episode de la vie d’un artiste („Episoden aus dem Leben eines Künstlers“) (op. 14, 1830) führte zum Paradigmenwechsel der Ästhetik des 19. Jhdts.
  3. [WS] Wellingtons Sieg oder die Schlacht bei Vittoria op. 91 (1813), ein Orchesterwerk von Ludwig van Beethoven ist ein einschlägiges Beispiel von Programmmusik.