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caractère passioné, mais noble et timide); aber man bedenke, daß er ja gar keinen großen Gedanken hinstellen wollte, sondern eben eine festhängende quälende Idee in der Art, wie man sie oft tagelang nicht aus dem Kopfe bringt; das Eintönige, Irrsinnige kann aber gar nicht besser getroffen werden.[H 1] Ebenso heißt es in jener Recension, daß die Hauptmelodie zur zweiten Abtheilung gemein und trivial sei; aber Berlioz will uns ja eben (etwa wie Beethoven im letzten Satze der A dur-Symphonie)[H 2] in einen Tanzsaal führen, nichts mehr und nichts weniger. Aehnlich verhält es sich mit der Anfangmelodie (12) der dritten Abtheilung, die Herr Fétis, wie ich glaube, dunkel und geschmacklos nennt. Man schwärme nur in den Alpen und sonstigen Hirtengegenden herum und horche den Schalmeien oder Alpenhörnern nach; genau so klingt es. So eigenthümlich und natürlich sind aber alle Melodieen der Symphonie; in einzelnen Episoden streifen sie hingegen das Charakteristische ganz ab und erheben sich zu einer allgemeinen, höheren Schönheit. Was hat man z. B. gleich am ersten Gesange auszusetzen, mit dem die Symphonie beginnt? Ueberschreitet er vielleicht die Grenzen einer Octave um mehr als eine Stufe? Ist es denn nicht genug der Wehmuth? Was an der schmerzlichen Melodie der Hoboe[H 3] in einem der vorigen Beispiele? Springt sie etwa ungehörig? Aber wer wird auf alles mit Fingern zeigen! Wollte man Berlioz einen Vorwurf machen, so wär’ es der der vernachlässigten Mittelstimmen; dem stellt sich aber ein besonderer Umstand entgegen,

Anmerkungen (H)

  1. [GJ] Ueber dies „Treffen“ sprach sich Schumann schon, bevor er die Symphonie kennengelernt hatte, aus. Er druckte (1835, II, 102) das Urtheil Börnes über die Symphonie aus dessen „Briefen aus Paris“ (Nr. 16, v. 8. Dec. 1830) ab. Börne schrieb: „Sonntag habe ich einem Concerte im Conservatoire beigewohnt. Ein junger Componist, Namens Berlioz, ließ von seinen Compositionen aufführen: das ist ein Romantiker. Ein ganzer Beethoven steckt in diesem Franzosen. Aber toll zum Anbinden. Mir hat alles sehr gefallen. Eine merkwürdige Symphonie, eine dramatische in fünf Acten, natürlich blos Instrumental-Musik; aber daß man sie verstehe, ließ er wie zu einer Oper einen die Handlung erklärenden Text drucken. Es ist die ausschweifendste Ironie, wie sie noch kein Dichter in Worten ausgedrückt, und alles gottlos. Der Componist erzählt darin seine eigene Jugendgeschichte. Er vergiftet sich mit Opium und da träumt ihm, er hätte die Geliebte ermordet und werde zum Tode verurtheilt. Er wohnt seiner eigenen Hinrichtung bei. Da hört man einen unvergleichlichen Marsch, wie ich noch nie einen gehört. Im letzten Theile stellt er den Blocksberg vor, ganz wie im Faust, und es ist alles mit Händen zu greifen. Seine Geliebte, die sich seiner unwürdig zeigte, erscheint auch in der Walpurgisnacht; aber nicht wie Gretchen im Faust, sondern frech hexenmäßig …“ Zu den gesperrt gedruckten Worten bemerkte Schumann in einer Fußnote: „Das fürchten wir eben.“ I.335.
  2. [WS] 7. Sinfonie A-Dur op. 92 (1811–1812).
  3. [WS] Oboe.