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Er liesz sin stym usz und sang,
Das es durch den walt erclang.
In dem sange empfile Im do

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Der kese, des wart der fusz vil fro.

Des lobs mus der rap mit schaden entgelten,
Und im was das lob nit gut, als ein schelten.

Die Schmeicheleyen, welche der Fuchs dem Raben macht, klingen artig genug. „Gott grüß euch, mein lieber Herr, euer Diener will ich seyn, und immer euer Knecht bleiben.“ Was fehlet diesem Complimente? Nun fängt er an, ihn recht poetisch zu loben. „Ihr seyd edel und liederreich. Kein Vogel mag euch in allen Königreichen gleich seyn. Nach meinen Gedanken muß euch der Sperber und der Falke weichen; die Schönheit des Habichts und des Pfauen. Süß ist euer Kehlen Schall, eure Stimme hört man überall in dem Walde erklingen.“ Dieses ist, wie mich deucht, eine sehr poetische Stelle. Man stelle sich vor, wenn der Dichter in unsern Zeiten geredet hätte, ob er nicht fast eben das gesagt haben würde, was La Fontaine saget?

Eh bon jour, Monsieur le Corbeau,
Que vous êtes joli! que vous me semblez beau!
Sans mentir si vôtre ramage
Se rapporte à vôtre plumage,
Vous êtes le Phoenix des hôtes de ce bois.

Die Sitten seiner Zeit ließen es nicht zu, daß er sich so manierlich ausdrücken konnte. Indessen muß diese Stelle vor vierhundert Jahren eben so artig und munter geklungen haben, als des La Fontaine seine zu unsern Zeiten klingt. Damit man den Werth dieses alten Autors desto besser erkenne: so will ich eben die Fabel von dem Raben aus dem Melander hersetzen, welcher 1712 eine Mythologiam Paraeneticam,

Empfohlene Zitierweise:
Christian Fürchtegott Gellert: Fabeln und Erzählungen. M. G. Weidmanns Erben und Reich und Caspar Fritsch, Leipzig 1769, Seite XXII. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Gellert_Schriften_1_A_023.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)