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Vil balde er sich dannen macht.
Der muse det er acht[1]

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Frundlich er Ir dancken began,

Sie sprach: Ich hab gern getan.
     Gedenkent wie der gewalt sy,
Dem miltikeit nit wonet by.
Gewalt ebermde[2] sol han;

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An gewalt sol tugent stan.

Der grosz dem myndern sol vertragen,
Nutze mag er sin, der nit mag schaden.

Die natürliche Einfalt, mit welcher unser Autor erzählet, hat, nach meiner Empfindung, etwas sehr angenehmes bey sich. Man sieht nichts gekünsteltes, und auch nichts frostiges. Er ist nicht so kurz, daß er ängstlich würde, und auch nicht so wortreich, daß er viel müßiges sagte, wenn man etliche wenige Zeilen ausnehmen will. Seine Moralen bringt er mit einer treuherzigen Miene vor, und verbindet sie gut mit der Handlung der Fabel. Die Anrede, welche die Maus an den Löwen hält, ist so kräftig, und schicket sich zu den gegenwärtigen Umständen so gut, daß man nicht sieht, was sie bessers hätte sagen sollen. „Herr Löwe laßt mich gehn! Was mag wohl ein König für Ehre erjagen, wenn er einen Knecht erschlägt? Daß er Gewalt hat, wenn er will, ist ihm das eine Ehre? Mag das wohl eine große Kühnheit seyn, wenn ein Löwe eine Maus erschlägt? Der hat mehr Ehre, der schaden kann, und es doch nicht thut.“

Man höre dagegen die spitzfindigen Betrachtungen, welche der Löwe bey dem lateinischen Anonymus in eben dieser Fabel anstellet, und welche sich


  1. Er bezeigte der Maus Hochachtung.
  2. Erbarmung.
Empfohlene Zitierweise:
Christian Fürchtegott Gellert: Fabeln und Erzählungen. M. G. Weidmanns Erben und Reich und Caspar Fritsch, Leipzig 1769, Seite XVIII. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Gellert_Schriften_1_A_019.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)