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Tacitus bei den alten Germanen nicht wahrgenommen hat – eine harte Abfuhr verdient. Aber wie die Gekränkten reagierten, das ist wieder bezeichnend für die Niveaulosigkeit dieses Parlaments. Im Nu hatte sich der Reichstag in einen provinzialen Verein verwandelt, dessen verzankte Mitglieder sich gegenseitig die Schicksalsfrage zuschreien: „Herr, wo waren Sie im Krieg –?“ Die Sozialdemokraten pochten auf ihre eisernen Kreuze und ihre intakten Soldbücher und führten ihre Narben vor wie Coriolan. Die Sozialdemokraten wären viel patriotischer als die Nationalisten. Hand aufs Herz, wer verlangt das von der internationalen, der völkerbefreienden Sozialdemokratie? Die Arbeiter, die Republikaner, die antimilitaristischen Bürger, die diese Partei wählen? Kaum, aber die Kandidatur Hindenburg verlangt es. Damit die Bassewitze und Itzenplitze, damit der ganze von Westarp und Treviranus auf die Zitterbeine getrommelte Adelskalender nicht doch noch zu Hitler oder Duesterberg humpelt, deshalb muß die Partei mit blankgeputzter Montur antreten.

Das ist das Erschütternde an dem gegenwärtigen Zustand: nicht der Fascismus siegt, die Andern passen sich ihm an. Brüning sucht sich Hitler anzugleichen, die Sozialdemokraten bilden sich an Brüning. Der Fascismus jedenfalls bestimmt das Thema, das Niveau. Eine hingeworfene Schnoddrigkeit des berliner Sportpalast-Tribunen jagt zehn Dutzend sozialistische Deputierte von den Plätzen, zwingt sie dazu, sich als gut vaterländisch zu legitimieren. Ein blamabler Zwischenfall, der nur zeigt, daß die Initiative rechts liegt.

Es mag Zeiten geben, wo auch in der Politik die Anpassung notwendig ist und Wunder bewirken kann. Aber in so entscheidenden Phasen wie heute kommt es nicht auf Angleichung und Schutzfärbung an sondern auf die Herausarbeitung des konsequenten Gegentyps der herrschenden Mächte.

Ein lehrreiches Exempel, wie diese Debatte zu behandeln war, gab merkwürdigerweise der Staatsparteiler Doktor Weber, ein maßlos Gemäßigter sonst. Er verteidigte nämlich nicht die angezweifelte nationale Haltung seiner Leute, sondern hielt den Fascisten einfach ihre Mordliste vor. Und die ganze braune Fraktion stob auseinander wie eine Belialsschar, die plötzlich vor ein Pentagramm geraten ist. Der kleine Goebbels schlich beklommen hinterher wie der Kater beim Gewitter.

Thälmann

Der erste Wahlgang kann keine Entscheidung bringen. Die radikale Rechte tritt gespalten auf. Wahrscheinlich ist die Stahlhelm-Kandidatur nur ein Kind der Angst, schon jetzt eine Entscheidung fällen zu müssen. Hindenburg oder Hitler? Der Stahlhelm wird am Ende bei dem sein, der am 13. März am besten abschneidet und am meisten bietet.

Im übrigen muß noch immer mit einer Resignation Hindenburgs nach dem ersten Wahlgang gerechnet werden. Entspricht das Resultat nicht seinen Erwartungen, setzen wieder neue Intrigen von fascistischer Seite ein, stellt das Braune

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Carl von Ossietzky: Gang eins. Berlin: Verlag der Weltbühne, 1. März 1932, Seite 4. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Gang_eins_4.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)