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Beschluß sein Vertrauen entzieht.“ Die Verehrung eines Ministerpräsidenten für das Staatsoberhaupt ist eine angenehme Zugabe, die das Zusammenarbeiten gewiß erleichtert, aber ein konstitutioneller Faktor ist das nicht. Ausschlaggebend bleibt das Vertrauen des Parlaments und die von ihm bestimmte Linie. Gelegentlich hat auch Disharmonie zwischen höchsten Staatsstellen große historische Resultate nicht verhindern können, wie im Falle Clemenceau-Poincaré.

Es ist wieder ein sehr deutsches Unglück, daß als Reichspräsident nicht etwa jemand gesucht wird, der würdig repräsentiert und nicht zu impulsiven Zwischenspielen neigt. Gesucht wird überhaupt kein sterblicher Mensch sondern ein Retter, ein Baldur, eine Figur aus dem Mythos. Das sitzt so tief, daß selbst ein so spärliches Temperament wie Brüning, der als Redner sich ganz gewiß nicht leicht an die Schwärmerei der Sekunde verliert, seine Beziehung zum Reichsoberhaupt durch ein mittelalterliches Bild, in dem sich Heroismus mit Domestikentum seltsam mischt, zu illustrieren für notwendig findet.

Herr, wo waren Sie im Krieg –?

Herr Brüning macht den Republikanern die Kandidatur Hindenburg überhaupt nicht leicht. Er treibt sie unerbittlich durch das kaudinische Joch seiner konservativen Ideologie. Manchmal hat das fast friderizianischen Stil. „Wollt ihr Racker denn ewig leben?“ Das klingt so zwischen den Zeilen der kanzellarischen Kundgebungen. So rief Brüning in seiner Reichstagsrede den Nationalsozialisten erregt zu: „Am 9. November war ich an der Spitze einer Offizierstruppe, die sich zur Niederwerfung der Revolution gebildet hatte.“ Der Bericht der ,Vossischen Zeitung’ bemerkt dazu: „Bei diesen Worten klatschen die Mittelparteien stürmisch Beifall, während man auf der Linken deutlich eine Bewegung bemerken kann.“

Doch schon in der Morgenausgabe darauf betont die ,Vossische Zeitung’, der Satz laute nach der amtlichen Wiedergabe: „Am 9. November war ich in der Gruppe Winterfeld, die zur Niederwerfung der bolschewistischen Revolution gebildet worden war.“

Nun haben einige Millionen Deutsche durch den Rundfunk die erste Fassung gehört. Der Reichskanzler rektifiziert sich, indem er hervorhebt, er habe bei einer Truppe gestanden, die nur gegen Spartakus kämpfen wollte, nicht aber für die gestürzte Monarchie. Das ist der Sinn seiner Korrektur des amtlichen Stenogramms. Wer die damalige Zeit miterlebt hat, weiß, daß der Unterschied nicht erheblich war. Wenigstens konnte man das den damals in den Straßen herumpfeifenden Kugeln nicht anhören, ob sie gegen den Bolschewismus oder für Wilhelm abgefeuert wurden.

Es ist begreiflich, daß die Sozialisten bei diesem autobiographischen Bekenntnis Brünings klamme Finger bekamen. Tags zuvor noch hatten sie ihre nationale Stubenreinheit stürmisch genug beteuert, als sie von dem kleinen Goebbels „Partei der Deserteure“ genannt wurden. Natürlich hatte der kleine Goebbels, der seine Unterleibsbeschwerden mit Vorliebe auf der Rednertribüne exhibitioniert – ein Zug, den

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Carl von Ossietzky: Gang eins. Berlin: Verlag der Weltbühne, 1. März 1932, Seite 3. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Gang_eins_3.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)