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Friedrich von Rath: Hexenprozesse. In: Morgenblatt für gebildete Leser. Band 38, Nr. 233–267

als es unserer so viel belobten Aufklärung zum Trotze doch nicht unter die unmöglichen Dinge gehören möchte, die Wiederkehr einer solchen furchtbaren Periode zu erleben, wenn es gewissen Bestrebungen gelingen sollte, sich allgemeine Geltung entweder bei den Machthabern oder bei den Massen zu verschaffen.


Erste Abtheilung.

Ob das Hexenwesen des Mittelalters im germanischen, ob es im griechischen oder römischen Heidenthum seinen Ursprung zu suchen habe, ist eine noch ungelöste Frage. Erstere bis jezt vorwiegende Ansicht, namentlich noch sehr stark vertheidigt von Professor Fischer in seinem sehr interessanten Werke „über Somnambulismus,“ hat durch Dr. Soldans im vorigen Jahre herausgekommene „Geschichte der Hexenprozesse,“ einem in dieser Beziehung höchst wichtigen historischen Beitrag, zu Gunsten der leztern Ansicht einen großen Stoß erlitten. So viel ist jedenfalls gewiß, daß man bei allen Völkern, von den ältesten Zeiten her, den Glauben an dämonische Gewalt und Einfluß, an Magie und Zauberei findet; der eigentliche Hexen- und Teufelsglaube jedoch, aus welchem die gräuelvollen Hexenprozesse entstanden, erhielt erst im Mittelalter und in Mitteleuropa, in Frankreich und Deutschland, seine volle Ausbildung. Vom dreizehnten Jahrhundert an wurde der bis dahin oft sogar von der Kirche angefochtene Glaube an Zauberei und Hexerei von ihr förmlich anerkannt, die Kirche hierin von der Justiz unterstüzt und ihre Urtheile von lezterer vollstreckt, bis endlich Zauberei, in ein bürgerliches Verbrechen umgewandelt, ganz in die Hände der Justiz überging. Ein solcher Stand der Dinge war allmählig aus den Ketzerverfolgungen hervorgegangen; Ketzer aber nannte man von den ältesten Zeiten her Alle, welche den gebotenen Satzungen der Kirche nicht blindlings Folge leisten wollten, und bald ward Ketzerei und Zauberei gleichbedeutend.

Wir erinnern hier nur an die Verfolgungen der Waldenser und Albigenser und der friesländischen Stedinger, welche nicht nur als Ketzer der schlimmsten Art, sondern auch als dem Teufel Verschriebene galten, eben so wie wir später die eigentlichen Hexen bezüchtigt sehen.

Von der Kirche angeordnete Inquisitions- oder Glaubenstribunale sollten unter besondern Ketzermeistern dem Unfuge steuern; als aber der furchtbare Ketzermeister Konrad von Marburg seine blutdürstige Wuth mit dem eigenen Tode büßen mußte (im Jahr 1233), wollten die Ketzergerichte in Deutschland nie mehr rechten Fuß fassen; man mußte daher, wollte man sie nicht ganz fallen lassen, der gleichen Sache einen andern Namen geben. Anstatt der Ketzerei wurden nun Zauberei und Hexenwerk als das Hauptverbrechen angesehen, und so muß die erste Hälfte des vierzehnten Jahrhunderts als der Zeitpunkt betrachtet werden, wo aus Ketzerei und Zauberei das Ungethüm der Hexerei entstand.

Mit Hexerei bezeichnete man nämlich einen von Menschen mit dem Teufel abgeschlossenen festen Bund, in welchem sich Erstere zu Anbetern des leztern bekannten, Gott und den Heiligen absagten, dagegen von dem Teufel mit allerlei Zaubermitteln versehen wurden, um ihre Mitmenschen auf jede Art zu schädigen; auch mußten sie mit ihm Buhlschaft treiben. Zur Verbreitung eines solchen Glaubens hatten wohl die Kreuzzüge und die Bekanntschaft mit arabischen und jüdischen abergläubischen Lehren viel beigetragen; denn es entstand hieraus eine neue Wissenschaft, die von den besten Köpfen eifrigst bearbeitet wurde, und dieß war die Magie, die bald in Beziehung auf Zweck und Mittel in weiße und schwarze eingetheilt wurde. Obgleich in der weißen Magie und der mit ihr eng verbundenen Cabbala die Ergebnisse von Gott und guten Geistern herrühren sollten und sie sogar auf der hohen Schule zu Toledo und anderwärts öffentlich gelehrt wurde, so konnte sie doch niemals die Zustimmung der Kirche erhalten, während die schwarze Magie als eine vom Teufel und seinen Geistern vermittelst eines Bündnisses mit ihm verliehene Gabe stets als das todeswürdigste Verbrechen galt.

Als es nun, namentlich bei Ketzerverfolgungen, zu unangenehmen Reibungen mit den weltlichen Gerichten gekommen war und das Volk die Inquisition nicht länger ertragen wollte, es auch wohl zeitweise keine Ketzer gab, erfanden die Ketzerrichter den Hexenprozeß, um sich von allen fremden Anfechtungen frei zu halten und bei den damals so finstern Zeiten stets Arbeit zu haben. Alle die Männer, die denselben zu Ende des vierzehnten und zu Anfang des fünfzehnten Jahrhunderts in ihren Schriften theoretisch begründeten, waren Inquisitionsrichter und gehörten dem Dominikanerorden an, dem die Handhabung der Inquisition speziell übertragen worden war. Im Jahr 1390 nahm das Pariser Parlament den Inquisitoren die Hexenprozesse ab (ein einziger hatte 200 Zauberer zum Tode verurtheilt), und sogleich verminderte sich ihre Zahl. In Deutschland dagegen begann um diese Zeit dieses Unwesen eine furchtbare Höhe zu ersteigen. Zwei Dominikaner, Johann Nider aus Isny in Schwaben, Ketzerrichter in Bern, und Nicol. Jaquier, ein Franzose, verhalfen dem Hexenwesen durch ihre Schriften zu großer Ausbildung. Lezterer bewies namentlich die Gültigkeit und Rechtmäßigkeit des gerichtlichen Vorschreitens auf den Grund der Aussagen der Complices, d. h. solcher Mitschuldigen, die angeblich auch auf Hexenversammlungen zugegen gewesen seyn sollten, was bis jezt bestritten worden war, weil man annahm, der Teufel lasse Trugbilder

Empfohlene Zitierweise:
Friedrich von Rath: Hexenprozesse. In: Morgenblatt für gebildete Leser. Band 38, Nr. 233–267. Cotta, Stuttgart und Tübingen 1844, Seite 930. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Friedrich_von_Rath_Hexenprozesse.pdf/2&oldid=- (Version vom 1.8.2018)