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Friedrich von Rath: Hexenprozesse. In: Morgenblatt für gebildete Leser. Band 38, Nr. 233–267

den Scheiterhaufen bestiegen. Nicht selten waren es Kinder, oft in dem zartesten Alter, die freiwillig und unaufgefordert ihre eigene Hexerei ausschwazten. Diese Unglücklichen waren meist schwermüthige, hysterische, mit Krämpfen behaftete Personen, womit somnambüle Phantasien und Träume außerordentlich häufig verbunden sind u. s. w.“

Der Verfasser dieser Mittheilungen muß sich gegen diese in mannigfacher Hinsicht sehr ansprechende Ansicht auf das Bestimmteste erklären. Von somnambülen Zuständen irgend eines der als Hexen und Zauberer zur Untersuchung gezogenen Individuen ist ihm in den mehreren hundert genau von ihm durchgegangener Hexenprozesse, die sich meistens aus Zeiten herschreiben, wo Hexenverfolgungen in Masse vorkamen, nicht die leiseste Spur vorgekommen, wenn man nicht dazu das hin und wieder, aber selten vorkommende Einschlafen der Inquisiten während der Folter dahin rechnen will, welches aber leicht als eine durch den ungeheuern Schmerz hervorgerufene Ohnmacht erklärt werden kann. Eben so wenig ist ihm ein Beispiel vorgekommen, welches ihn nur einigermaßen zu der Ueberzeugung bringen könnte, daß eine der als Unholde eingefangenen Personen nur entfernt an die Wahrheit der ihr entweder durch die Folter abgepreßten, oder, um ihr zu entgehen, freiwillig abgelegten Bekenntnisse geglaubt habe. Ob die meisten dieser Unglücklichen schwermüthige, hysterische oder mit Krämpfen behaftete Personen gewesen sind, dieß konnte aus den Akten nicht ersehen werden, dürfte aber wegen der großen Anzahl dieser jedem Alter, jedem Geschlecht, jedem Stande angehörenden, dem grauenvollsten Geschick verfallenen Menschen sehr zu bezweifeln seyn.

Die Uebereinstimmung in den Aussagen der Gefangenen, unter denen sogar ganz junge Kinder vorkommen, von welchen später einige seltsame Prozesse mitgetheilt werden sollen, läßt sich leicht daraus erklären, daß das Volk mit den gewöhnlichen, den Gefangenen vorgelegten Fragen und der ganzen Form des Verhörs allgemein bekannt war. Obgleich die vielleicht nur als Complices vorgeforderten, aber wieder entlassenen und nicht in weitere Untersuchung gezogenen Personen einen schweren Eid der Verschwiegenheit schwören mußten, so ergibt sich doch genugsam aus den Akten, daß solcher Eid selten streng gehalten wurde, und daß dem Volke Alles genau bekannt wurde, um was es sich handelte. Weil immer so lang fortgefoltert wurde, bis ein Geständniß erfolgte, so war es natürlich, daß die Gefolterten immer zulezt dasjenige bekannten, was man von ihnen, wie sie vorher wußten, eingestanden haben wollte. Daß die häufig vor beginnender Folter freiwillig abgelegten Geständnisse gleichen Inhalts waren, ist demnach leicht zu begreifen. Schließlich muß der Verfasser erklären, daß er in Folge seiner eigenen Studien zu dem Resultate gelangt ist, daß Soldan gewiß Recht hat, wenn er im lezten Kapitel seiner vortrefflichen Geschichte des Hexenprozesses behauptet, daß das angebliche Verbrechen der Hexerei, dem vom fünfzehnten bis siebzehnten Jahrhundert so unzählige Menschenleben zum blutigen Opfer fielen, einzig und allein unter den Händen der um Einkommen und Popularität verlegenen Inquisition entstanden, daß es vergeblich

sey, sich nach andern Quellen dieser Greuel umzusehen.[1]


  1. Wir werden später einen Aufsatz mittheilen, in dem gezeigt wird, daß die obige Auffassungsweise des Hexenprozesses eine, wenn man so sagen darf, furchtbar trockene und nüchterne ist, daß sie vor Allem den Hexenglauben, den Glauben an Zauberei, an dämonische Kräfte des Menschen, der ja natürlich die nächste Ursache der Hexenverfolgung war, gar nicht erklärt.
    Anm. d. Redaktion. 
Empfohlene Zitierweise:
Friedrich von Rath: Hexenprozesse. In: Morgenblatt für gebildete Leser. Band 38, Nr. 233–267. Cotta, Stuttgart und Tübingen 1844, Seite 951. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Friedrich_von_Rath_Hexenprozesse.pdf/15&oldid=- (Version vom 31.7.2018)