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Friedrich von Rath: Hexenprozesse. In: Morgenblatt für gebildete Leser. Band 38, Nr. 233–267

Hexenprozesse.
Mitgetheilt von Fr. v. Rath.

Ein zweimaliger Aufenthalt in dem vortrefflichen, aber noch lange nicht genug gewürdigten Bade in Mergentheim gab dem Verfasser der folgenden Mittheilungen Gelegenheit, in dem dort befindlichen, an historischen Dokumenten der vielfachsten Art höchst reichen Archive des deutschen Ordens, mit welchem die nicht weniger reichen Archive des Ritterstifts Comburg, des Klosters Schönthal u. s. w. vereinigt sind, eine Masse der vollständigsten Akten von Hexenprozessen kennen zu lernen, welche von der zweiten Hälfte des sechzehnten bis in die erste Hälfte des siebzehnten Jahrhunderts auf den nächstgelegenen Gebieten des Ordens geführt worden sind. Als nun die erbetene Erlaubniß ertheilt ward, diese merkwürdigen Akten zu excerpiren und zu benutzen, so gab dieses hinreichende Veranlassung, mancherlei Studien in dieser Richtung zu machen. – Der vielbesprochene Roman des Pfarrers Meinhold, „Maria Schweidlerin, die Bernsteinhexe etc.,“ der ungeachtet der hohen, ihm zu Theil gewordenen Protektion gleich Anfangs von Jedem, der nur irgend eine ächte Hexenakte in der Hand gehabt, als eine Mystifikation betrachtet werden mußte, hat die Aufmerksamkeit des belletristischen Publikums, das in neuerer Zeit jeder Art von Emotionen auf das Emsigste nachzujagen pflegt, auch den Hexenprozessen zugewendet, einem der dunkelsten und grauenvollsten Kapitel der Verirrungen des menschlichen Geistes.

Der Verfasser dieser Mittheilungen glaubt keine undankbare Arbeit unternommen zu haben, wenn er, anstatt seine Studien zu Novellen oder Lustspielen zu verarbeiten, einige der merkwürdigsten, jenem Archive entnommenen Hexenprozesse folgen läßt, nicht nur um manche, durch Meinholds Roman verbreitete Irrthümer zu berichtigen, sondern hauptsächlich um zu zeigen, wie solche Prozesse eigentlich aussahen. Leider muß zugegeben werden, daß in ihnen eine fortlaufende Kette von Momenten enthalten ist, die an tragischem Interesse, an Schauderhaftigkeit keinem der so beliebten, an Emotionen so reichen Romane deutschen oder französischen Ursprungs nachstehen, mit dem großen Unterschiede jedoch, daß in lezteren eine oft in das Gräßliche ausschweifende Phantasie, in den erstern dagegen die furchtbarste und grauenvollste Wahrheit spricht. Zum bessern Verständniß dieser Prozeßgeschichten möge es dem Verfasser jedoch vergönnt seyn, in einigen möglichst kurzen Umrissen Andeutungen darüber zu geben, wie es der unvernünftigsten Justiz und der gottesvergessensten Theologie gelingen konnte, dem krassesten Aberglauben zahllose Hecatomben der schuldlosesten Menschen zu opfern. Es dürfte eine solche Uebersicht um so zeitgemäßer erscheinen,

Empfohlene Zitierweise:
Friedrich von Rath: Hexenprozesse. In: Morgenblatt für gebildete Leser. Band 38, Nr. 233–267. Cotta, Stuttgart und Tübingen 1844, Seite 929. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Friedrich_von_Rath_Hexenprozesse.pdf/1&oldid=- (Version vom 31.7.2018)