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Kirche auch in ihrer Lehre verfocht und die Gültigkeit der evangelischen Bekenntnisse auf die Fragen beschränkte, die im Bereich der reformatorischen Aufgaben lagen. Ich möchte annehmen, daß hinter solchen Gedanken der größere Teil unserer Landeskirche und ihrer Diener steht, ja daß sie zu dem unveräußerlichen Stammvermögen des protestantischen Geistes gehören. Und wenn wir uns auf ihren Boden stellen und von ihnen, vielleicht nur entschiedener als andere, die Folgerungen für die Behandlung kirchlicher Fragen in der Gegenwart ziehen, so wird man uns deswegen nicht „Partei“ nennen dürfen. Jedesfalls ist es nicht unsere Absicht, das mit diesem Namen meist in Beziehung gebrachte streit- und herrschsüchtige Wesen und die Anmaßung zu pflegen, als wachse auf unserem Gebiet nichts als Wahrheit und nirgends Irrtum. Im Gegenteil, ernstere Beschäftigung mit der Wissenschaft lehrt den Mann, und vor allem den Theologen, mäßiglich von sich zu halten. Gerade das Bedürfnis, die Ergebnisse der modernen Forschung sorgfältig auf ihre Gültigkeit auch an dem Maße der Erkenntnis aus einer langen Vergangenheit zu prüfen, uns über ihren religiösen Wert und ihre kirchliche Brauchbarkeit unter einander und mit den älteren Richtungen zu verständigen, hat uns zu der Gründung dieser Konferenz getrieben. Nichts liegt ihr ferner als die Kriegserklärung gegen die Orthodoxie. Mir persönlich gilt diese als nützlich und nötig für die Kirche; das Erbgut früherer Geschlechter an religiöser Einsicht und Erfahrung darf nicht leichthin und sicher nicht um deswillen aufgegeben werden, weil an ihm die Patina haftet; es birgt sich in manchem Stück ein wertvoller Edelstein, und es gilt oft nur, diesem eine etwas andere Fassung zu verleihen. Wir erkennen willig die Verdienste der Orthodoxie an, die in der Pflege des historischen Sinnes, in der Weckung kirchlichen Bewußtseins und in der schöpferischen Fürsorge für die großen christlichen Liebeswerke einen leuchtenden Ehrenkranz um ihr nun ergrauendes Haupt sich geflochten hat. Aber wir können weder uns noch die Kirche vor ihrem Anspruch beugen, daß sie die einzige privilegierte Münzstätte der evangelischen Wahrheit sei; wir wollen nicht mit ihr nach dem Worte von Alexander

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Friedrich Meyer: Die Kirche und die moderne Zeit. Georg Wigand, Leipzig 1898, Seite 7. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Friedrich_Meyer_-_Die_Kirche_und_die_moderne_Zeit.pdf/7&oldid=- (Version vom 25.8.2016)