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man suche dann nicht bei uns die Vaterschaft für eine erst beginnende Sonderung in Parteien; denn in Sachsen regen sich längst verschiedene kirchliche Richtungen, die in bestimmten Konferenzen ihren Mund und ihre Hand haben. Oder wollte man das Recht, sich Geltung zu verschaffen, von vornherein einer Auffassung absprechen, welche die abschließende Prägung des evangelischen Christentums nicht in irgend einer Formulierung der Vergangenheit findet, sondern auch in dem Streben und Forschen der modernen Wissenschaft auf den Geist von oben achtet, der in alle Wahrheit leitet? Gewiß schleudern manche allzu leichten Herzens auf jeden Versuch, den religiösen Gehalt in der traditionellen Form zu prüfen oder ihn von anderer Seite zu beleuchten oder neu zu fassen, das Anathema: „Ungläubig!“ „Ungläubige Wissenschaft, ungläubige Professoren, ungläubige Pastoren“ werden oft genug als Gespenster citiert, um Kinder an Glauben fürchten zu machen; aber wir lassen uns durch sie nicht schrecken. Zu klar ist es, daß mit 1580 noch nicht der Punkt hinter die religiöse Erkenntnis der evangelischen Kirche gesetzt worden ist, zu klar, daß jede Zeit mit ihren Mitteln verpflichtet ist, das Evangelium sich anzueignen, zu verarbeiten und die ihr entsprechenden Seiten desselben an das Licht zu stellen, als daß wir uns gegenüber dem Beharrungsvermögen kleiner Kreise zur Verteidigung der vorwärts drängenden wissenschaftlichen Arbeit auf Männer wie Münchmeyer und Löhe zu berufen brauchten, denen niemand den streng konfessionellen Charakter absprechen wird. Unser Programm liegt in gleicher Ebene mit der Ansicht Münchmeyers, der die Symbole als das Dokument für die Prinzipien der lutherischen Reformation bezeichnet; es sei ganz unmöglich, daß ein Prinzip bei seinem ersten Auftreten, sofort nach allen Seiten eine völlig befriedigende Darstellung und Durchführung finden sollte; „lutherisch,“ sagt er, „ist nicht, wer in verba Lutheri schwört, sondern wer den Glaubensgrund teilt, den Luther zuerst wieder durch Gottes Gnade ergriffen hat.“ Und was immer von unserer Konferenz gearbeitet werden wird, fällt schwerlich außerhalb der Anschauung Löhes, welcher das Recht fortschreitenden Schriftverständnisses betonte, die Weiterentwicklung der lutherischen