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Christi giebt doch, so meine ich, seinen späteren Jüngern das Recht, das Paulus gegen die Urapostel hatte, das Recht freier Kritik an dem Vorhandenen. Im Grundsatz wird von allen Freiheit der theologischen Wissenschaft für die evangelische Kirche zugestanden, in Wirklichkeit aber wollen viele sie nur in usum delphini arbeiten lassen. Und wenn ja einmal ihre Ergebnisse das Ueberlieferte allzusehr zu erschüttern scheinen, dann erschallt der Weheruf über Hyperkritik und Subjektivismus. Aber will man theologische Wissenschaft, so darf man auch nicht ihre Abwege oder vielmehr Umwege verbieten wollen; langsam ist die Wanderung zur wahren Erkenntnis und Umwege sind oft die geradesten Wege. Jedesfalls legte man die Axt an die Wurzel des Protestantismus, wollte man das Streben der Wissenschaft ängstlich einschränken. Könnte unsre Kirche die freie Arbeit theologischer Fakultäten nicht vertragen, wollte man zur Bildung ihrer Diener nach dem römischen Ideal von Priesterseminarien greifen, sie würde bald veröden und erstarren und gegenüber dem Katholicismus das Recht der Existenz verlieren. Aber sie kann ruhig von ihrem hohen Ufer des Glaubens an die Gnade Gottes in Christus den Wogen der Wissenschaft zuschauen; auch diese rinnen aus Glauben in Glauben. Wir danken es unsrem Kirchenregiment, daß es weise von der theologischen Bewegung sich zurückgehalten und der guten sächsischen Tradition dieses Jahrhunderts folgend, nicht mit rauher Hand in sie einzugreifen versucht hat. Wir wollen für dieses echt evangelische und protestantische Walten auf seine Seite uns stellen und dies stützen, wenn etwa auch in Sachsen Bestrebungen gegen die Freiheit der Wissenschaft sich erheben sollten.

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 Unsere Kirche bedarf für ihren Dienst fester Männer, rückgratsharter Charaktere; diese gedeihen nur in ungehinderter Bewegung; unnötiger Druck erzeugt biegsames Rohr; mit solchem läßt sich nicht siegreich das Volk für die Kirche erobern. Darum schließen wir uns zusammen, uns gegenseitig zu stützen und zu fördern, daß wir, innerhalb der Grenzen unseres kirchlichen Amtes unbeeinflußt durch unprotestantische Maßnahmen, in der Kraft evangelischen Geistes wachsen, an dem Korn der Reformation uns nähren und so

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Friedrich Meyer: Die Kirche und die moderne Zeit. Georg Wigand, Leipzig 1898, Seite 22. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Friedrich_Meyer_-_Die_Kirche_und_die_moderne_Zeit.pdf/22&oldid=- (Version vom 18.7.2016)