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Plan dieses Baues und die Stelle und die Art zu kennen, wo und wie die Cedern verwendet werden sollten. Ist es anders mit den Stämmen der Erkenntnis, welche im Hochwald wissenschaftlicher Arbeit gefällt und bearbeitet werden? Und schon zeigt sich, wie gut die Errungenschaft des modernen Geistes in den Gottesbau des Christentums sich fügt. Unendlich hat sich uns die Welt erweitert, hinaus in die entlegensten Himmelsräume, hinab in die kleinsten, dem unbewaffneten Auge unerreichbaren Gebilde. Wenn irgendetwas, so kann diese Unermeßlichkeit, ihre gesetzmäßige Ordnung, ihre Fülle vom Leben und Schönheit uns von der Größe Gottes überführen, vor welchem dem Menschen zuoberst Demut geziemt. Des Allmächtigen festes, sicheres Walten über die ungeheuren Kräfte führt hin zu dem Vertrauen, daß auch wir in dem Umkreis seiner Sorge uns geborgen wissen. Freilich bewahrt uns die wissenschaftliche Erkenntnis von dem fest geordneten Gefüge der Welt, das überall strenges Gesetz und höhre Vernunft als die unsere verrät, vor der Annahme, als sei die Freiheit des göttlichen Geistes gleich Willkür, die nach Belieben auf die Wünsche ihrer irdischen Kinder reagiere, die sich etwa ebenso von dem Flehen der italienischen Briganten um Gelingen ihres Mordwerks ein gefälliges Ja abringen lasse, wie von den Bitten der Pietisten im vorigen Jahrhundert, die einen ihnen unbequemem orthodoxen Pastor durch gemeinsamen Ansturm zu Tode beten wollten. Nein, gerade der Glaube an Gott verlangt, daß wir uns vor der Form, die er seinem Wirken in der Welt sich gegeben hat, bescheiden, verlangt, daß wir auch dem durch strenge Gesetze gebundenen Walten gegenüber uns zu der Höhe des Beters in Gethsemane aufschwingen: Vater, nicht wie ich will, sondern wie du willst, und daß wir nicht von der fröhlichen Zuversicht lassen: durch den Mechanismus der Schöpfung hindurch weiß der Allmächtige sein Reich und unser persönliches Heil zu fördern.

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 Und wenn Gott es uns vergönnt, sein Wirken zu belauschen, seine Gedanken nachzudenken, so müssen wir dies als Gnade empfinden, die unsren Geist über das Sichtbare hinaushebt, ja, die allein es ermöglicht, unsre Persönlichkeit vor

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Friedrich Meyer: Die Kirche und die moderne Zeit. Georg Wigand, Leipzig 1898, Seite 20. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Friedrich_Meyer_-_Die_Kirche_und_die_moderne_Zeit.pdf/20&oldid=- (Version vom 24.7.2016)