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ich den herrlichen Schluß von des Professors Kautzsch „Abriß der Geschichte des alttestamentlichen Schrifttums.“ „Es ist,“ betont er, „eine einfache Pflicht christlicher Wahrhaftigkeit, in allen den Fällen, wo die auf Überlieferungen gegründete Anschauung von der Heiligen Schrift mit zweifellosen Thatsachen in Widerspruch steht, nicht die Thatsachen zu leugnen, sondern die Schriftanschauung umzubilden. Jeder andere Weg ist ein unziemliches Meistern Gottes, dem es nun einmal gefallen hat, so und nicht anders seine Offenbarungen an Israel und die Menschheit ergehen zu lassen. Und je länger sich das Sinnen des Schriftforschers in solche Betrachtung der Wege Gottes vertieft, desto williger wird er in das Bekenntnis einstimmen, mit dem der Apostel Paulus seine Beleuchtung des göttlichen Geheimnisses schließt, das in den Wegen Gottes mit Israel vorliegt: O welch eine Tiefe des Reichtums, beide der Weisheit und Erkenntnis Gottes! Von ihm und durch ihn und zu ihm sind alle Dinge; ihm sei Ehre in Ewigkeit!“

 Auf diesem Punkte liegt für die Kirche eine schwere und ernste Aufgabe vor; sie hat aus Achtung gegen die Heilige Schrift, um der Wahrhaftigkeit willen und um den Gemeinden neues Vertrauen und neue Liebe zu dem „Worte Gottes“ zu geben, die heilige Pflicht, die Bibel nicht mehr so zu behandeln, als bestünde die alte Inspirationstheorie noch zu vollem Recht, sondern die wissenschaftlich begründete Auffassung ihren Gliedern nahe zu bringen und sie zu überzeugen, daß auch bei dieser, ja gerade bei ihr der Geist von oben durch die heiligen Schriftsteller Worte von unvergleichlichem Werte redet, an denen jede Zeit ihr religiöses Leben regelt und erfrischt.

 Allerdings senkt die Kritik ihre Sonde auch in die altererbte Auffassung von der Person und dem Werk unsers Herrn. Es ist nur mit Freude zu begrüßen, daß die das Innerste ergreifende Frage: was dünket euch um des Menschen Sohn, wieder in den Vordergrund gerückt ist. Das giebt mir die Hoffnung auf einen neuen Aufschwung des religiösen Lebens, das aus jeder tieferen und reineren Erfassung Jesu als frische Quelle einer neuen Zeit aufsprudelte. Ohne mich

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Friedrich Meyer: Die Kirche und die moderne Zeit. Georg Wigand, Leipzig 1898, Seite 17. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Friedrich_Meyer_-_Die_Kirche_und_die_moderne_Zeit.pdf/17&oldid=- (Version vom 10.7.2016)