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unter den Geistesgrößen nicht eine der letzten, den Mechanismus der Schöpfung nur unter der Voraussetzung eines persönlichen vollkommenen Geistes verständlich findet. Ich erinnere daran, daß der Versuch, das Geistesleben der Menschheit in die Zwangsjacke des Darwinismus zu stecken, gescheitert ist; es erweist sich als undurchführbar gegenüber der Wirksamkeit großer Individualitäten, prophetischer Naturen, „deren Eigenheit, Leistung und Erfolg immer nur sehr unvollständig aus den vorangegangenen und gleichzeitigen Verhältnissen sich begreifen lasse.“ Siebeck (Religionsphilosophie Seite 102) sagt: „In der Religionsgeschichte tritt die Eigenart und anscheinende Irrationalität dieses Faktors der Entwicklung in hervorstechender Deutlichkeit zu Tage, insbesondere der Umstand, daß man die einzelne epochemachende Persönlichkeit zwar als ausschlaggebend mit in Rechnung zu setzen hat, sie aber nicht selbst ohne Rest durch Rechnung ausschließlich mit gegebenen Größen, sei es empirisch oder deduktiv, begreifen und ableiten kann.“ Hier ist die Hand einer andern Welt in dem festen Zusammenhang des Sichtbaren zu fassen.

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 Mag es sein, daß die religiöse und die naturwissenschaftliche Betrachtung noch in vielen Punkten unausgeglichen sich gegenüberstehen, so liegt für die erstere keine Notwendigkeit vor, abzudanken. Sie ruht auf ebenso sicheren, innerlich und geschichtlich von Gott gegebenen Thatsachen, wie das All eine uns gegebene Thatsache ist. Gerade die heutige Religionswissenschaft wird es erhärten, daß Religion nur als Selbstbezeugung, als Offenbarung der Gottheit verständlich ist; der verborgene Geist hat sich in ihr dem menschlichen Geiste erschlossen, damit dieser für die Wanderung seiner Vernunft nach Wahrheit durch das sichtbare Gebiet des Allmächtigen festen Halt und sichere Richtung und in Gott immer wieder die Einheit seiner Erkenntnis und seines Lebens besitze. Der Strom der Religion wälzt seine im göttlichen Lichte leuchtenden Wellen durch die Jahrtausende unaufhaltsam; er wird in seinem Gang nicht gehindert durch die fleißigen Hände, die in dem Gebirge an seinen Ufern graben und pochen und forschend wühlen; auf seinen Wogen wird doch zuletzt das Gestein verfrachtet, das jene zu Tage fördern. Die Kirche

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Friedrich Meyer: Die Kirche und die moderne Zeit. Georg Wigand, Leipzig 1898, Seite 15. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Friedrich_Meyer_-_Die_Kirche_und_die_moderne_Zeit.pdf/15&oldid=- (Version vom 24.7.2016)