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ausgeprägt und bewußt fast bei allen Menschen vor. Sie hat ihren Grund im Eigenleben des Menschen und in seinem ungebrochenen Sinn, im Vertrauen auf seine eigene Kraft und Verdienst und in dem Widerwillen, vor Gott und in sich selbst zu nichte zu werden. Darum bleibt es eine Hauptaufgabe für die Predigt und Seelsorge, die falsche Gesetzlichkeit in allen Formen und Gestalten beharrlich zu bekämpfen und so ein Hauptbollwerk wider den Glauben niederzulegen.

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 Dagegen hilft am besten, das Gesetz mit seiner Kraft nicht halb, sondern ganz auf sich wirken zu lassen, nicht bloß auf den Verstand, sondern vor allem auf das Gewissen. Das Gesetz ist zunächst nicht dazu gegeben, daß man es halte, sondern daß man durch das ernstliche Bestreben, es zu halten, je länger je mehr einsehe, wie wenig man es gehalten habe, wie hoch die Forderungen Gottes gespannt seien, wie wenig man Kraft habe, ja wie unmöglich es sei, es aus eigner Kraft zu halten. Das ist die rechte Wirkung des Gesetzes, die von Gott beabsichtigte: durchs Gesetz kommt Erkenntnis der Sünde, Röm. 3, 20 cf. 7, 7 ff. Ja wie bei einer Hautkrankheit durch Arzneimittel die Krankheit herausgetrieben wird und gesteigert, so wird durch das Gesetz im Ringen nach Erfüllung desselben die Sünde noch mächtiger, Röm. 5, 20, weil am Widerstand des Gesetzes sich die fleischliche Lust erregt und steigert, Röm. 7, 5. 7, während im vorigen Zustand, im gesetzlosen, der Mensch in der Sicherheit und Sorglosigkeit des Fleisches dahinging (Röm. 7, 9: „Ich lebte etwa ohne Gesetz“; ἔζων-ἀνέζησε = krankhaft erhöhte Lebensthätigkeit, wie beim Fieber); vergleichsweise war die Sünde tot, Röm. 7, 8. So ist das Gesetz bestimmt, den unlösbaren Zwiespalt zwischen seinen Forderungen und des Menschen sittlichen Leistungen noch stärker als dies beim Gewissen der Fall sein konnte (s. o.), herauszustellen: „Wir wissen, daß das Gesetz geistlich ist, ich aber bin fleischlich, unter die Sünde verkauft“, Röm. 7, 14. „Fleischlich gesinnt sein ist der Tod“, Röm. 8, 6, „und eine Feindschaft wider Gott, sintemal das Fleisch dem Gesetz nicht unterthan ist; denn es vermag es auch nicht“, Röm. 8, 7. So bleibt dem Menschen nichts übrig, als an sich und an all seinem Thun zu verzweifeln und zu nichte zu werden, Gal. 6, 3; Joh. 15, 5. Dazu kommt die fortwährende Furcht, da der Mensch immerdar gepeinigt wird durch die Angst vor drohenden Strafen – knechtische Furcht, weil der Mensch unter dem Gesetz steht, Röm. 6, 14, wie ein Sklave unter einem gestrengen Herrn, dessen Gewalt