Seite:Friedrich Bauer - Christliche Ethik auf lutherischer Grundlage.pdf/89

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

§ 35.
Die Wirkung des Gesetzes.

 Die falsche Wirkung des Gesetzes ist die Gesetzlichkeit des fleischlichen Judentums, der Pharisäismus. Die rechte Wirkung ist Erkenntnis der Sünden, Buße.

 Die Wirkung des Gesetzes ist, wo es falsch, d. h. in fleischlicher Weise bloß äußerlich und oberflächlich nach dem Buchstaben, nicht nach dem Geist, nicht in seiner Höhe und Tiefe, verstanden wird, eine falsche, nicht von Gott beabsichtigte, ja sie ist ein Bollwerk wider Gott. Gegen eine solche fleischliche Auffassung des Gesetzes eifert der HErr, Matth. 5, 20 ff. Solche wirkt die Einbildung einer vorhandenen eigenen Gerechtigkeit, wie sich das zeigt in vollem Maß in der bei den Juden ausgebildeten falschen Gesetzlichkeit, dem Pharisäismus. Dieser Richtung kann richtige Erkenntnis des Gesetzes (Mark. 12, 32. 33), Festhalten an Gottes Wort (Joh. 5, 39), Eifer in guten Werken (Röm. 10, 2) nicht abgesprochen werden, und doch bezeichnet der HErr die Pharisäer als Heuchler, Matth. 23, 13, Blinde und Thoren, v. 19, weil sie gewissenhaft im Unbedeutenden, gewissenlos im Großen (Matth. 23, 23. 24) nur von außen scheinen (v. 25), innen aber umgekehrt voller Unreinigkeit (v. 27), voller Hochmut und Eitelkeit seien (v. 5 ff.), voll Selbstruhms (Luk. 18, 12), also solche, die sich und andere hinderten, ins Reich Gottes zu kommen trotz allem Bekehrungseifer, Matth. 23, 15, indem sie den Weg Gottes verkehren und statt Gottes Gerechtigkeit ihre eigene Gerechtigkeit aufrichten (Röm. 10, 3). Ja, er bezeichnet sie als die ärgsten Feinde seiner Person und seiner Lehre, Matth. 23, 29 ff., wie denn diese Gesinnung der hauptsächlichste Grund der Feindschaft war, in der sie ihn ans Kreuz brachten.

 Anm. Ehrliche Pharisäer? Gab es solche? cf. 2. Tim. 1, 3. Man kann auch von ehrlichen Mönchen reden, obwohl die Richtung eine verkehrte und zu Luthers Zeit das Mönchtum entartet war. Doch ist es schon Heuchelei, wenn einer an der Behauptung von der Herrlichkeit an einer Sache festhält, während er sie doch als anders beschaffen erkannt hat. Es kann dies aber geschehen, indem einer dabei unter einem Zwang steht: er kennt das Bessere noch nicht: so befindet er sich in einer unglücklichen Lage; aber er kann auch aus dem Schein einen Vorteil für sich ziehen wollen; das ist dann die eigentliche Heuchelei, die das Mißverhältnis zwischen Sein und Schein nicht bedauert.

 Diese Richtung und Gesinnung stirbt nicht aus in der Christenheit und kommt in feinerer oder gröberer Weise, mehr oder minder