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als Herr über seinen Willen, sondern steht einerseits unter der Herrschaft des Gewissens wie ein Knecht, der sich fürchtet und andererseits unter der Herrschaft der Sünde, wie ein Knecht, der diese Herrschaft liebt.“ (Harleß.) „Wer Sünde thut, der ist der Sünde Knecht.“ Joh. 8, 34.

 Im verderbten Zustand des Menschen liegt es ferner, daß das Gewissen selbst korrumpiert ist. Zwar was im Gewissen von Gott gesetzt ist, ist unzerstörbar; aber die Wirkungen auf die menschliche Seele können durch des Menschen Schuld alteriert werden (siehe oben). Das Gewissen zeigt dem Menschen das Bild seines geistig-sittlichen Zustandes. In dem Maß, als unser selbstisches Herz sich vor diesem Wahrheitsspiegel scheut und sich nicht will strafen lassen, in dem Maß nimmt die Fähigkeit der Seele ab, sich selbst zu erkennen. Ja es kann sich der Mensch gegen sein Gewissen völlig abstumpfen, so daß der Widerspruch desselben gegen seine Neigung scheinbar ganz aufhört. Es erscheint ihm dann das Böse nicht mehr als das, was es ist, oder doch nicht mehr so klar; es bilden sich andere sittliche Anschauungen durch die Gewohnheit des Sündigens, zumal wenn ein ganzes Volk oder eine ganze Generation beteiligt ist: Nationallaster, Zeitsünden. – Es kommt dazu, daß der natürliche Mensch nicht mehr die rechte Erkenntnis von Gott und der Wahrheit hat; er steht nicht in ihr, so gerät er leicht auf Verkehrtes, sein Urteil wird getrübt, er kann die ärgsten Sünden schließlich für geboten oder doch für berechtigte Handlungen halten. So tritt ein Zustand der Verfinsterung und der Entfremdung von dem Leben aus Gott ein, Eph. 4, 17, wie bei den Heiden, Akt. 14, 16. Doch nehmen daran nicht alle Individuen in gleicher Weise teil. Einzelne sind sich des Verderbens bewußt und beklagen es. Gesetzgebung und Religion erscheinen auch teilweise als Erzeugnisse des Gewissens und bilden einen Damm gegen das allgemeine Verderben. Doch läßt sich auch eine Sehnsucht nach einer Erlösung, wenn auch nur als dunkle Ahnung, durchspüren, und dieses Bedürfnis macht sich wieder geltend im Gewissen. Zunächst aber mußte der Menschheit dadurch geholfen werden, daß die Unsicherheit in sittlichen Dingen, die mit dem irrenden Gewissen hereingebrochen war, die Unwissenheit über das, was recht und unrecht, was der Inhalt des göttlichen Willens ist, weggenommen wurde, und das geschah durch die positive Offenbarung des göttlichen Gesetzes, welches dem Gewissen verwandt und doch von ihm verschieden ist.