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seiner Schuld, d. h. es stellt das Maß der Verschuldung fest oder spricht frei, und so wird sich der Mensch seines sittlichen Standes in Beziehung auf den Fall völlig klar und trägt entweder das Schuldbewußtsein oder er hat das Zeugnis eines guten Gewissens, Röm. 9, 1. Das Zeugnis des Gewissens ist überzeugend. Das Gewissensurteil läßt sich nicht bestechen oder doch nur scheinbar, Röm. 1, 32.

 Anm. Die richterliche Funktion tritt unter den Thätigkeiten des Gewissens am meisten hervor, wie sie denn auch Röm. 2 neben der bezeugenden Funktion hervorgehoben wird, womit die dritte abgeleitete, die vollziehende, schon gegeben ist; auch setzt sie die erste, die verpflichtende, schon voraus. Die Urteilsgabe des Gewissens erstreckt sich auf die That, ihren Wert oder Unwert, auf den sittlichen Gesamtzustand des Handelnden selbst. Es ist wohl nicht ohne tieferen Grund, daß der Apostel Röm. 2 diese urteilende Thätigkeit auf dem Gebiet des natürlichen Menschenlebens fast nur negativ auftreten läßt: „die Gedanken verklagen sich,“ oder auch in selteneren Fällen entschuldigen sie. Nicht sowohl ein positives Zeugnis, daß das Gebot erfüllt und ein gutes Werk geschehen sei, bezeugt das heidnische Gewissen, sondern entweder, daß das Gesetz übertreten oder daß es nicht verletzt worden ist, womit aber nicht gesagt ist, daß es positiv erfüllt wurde. Wie es aus der ganzen Darstellung Röm. 2, 15 ersichtlich ist, bleibt, sonderlich auf dem Gebiet des natürlichen Menschenlebens, Hauptaufgabe des Gewissens, nicht freizusprechen, sondern anzuklagen und es geschieht die Vorbringung von Entschuldigungsgründen nur in seltenen Fällen.
 Diese urteilende Funktion tritt im Neuen Testament häufig hervor: Akt. 23, 1; 24, 16; 2. Tim. 1, 3; Phil. 3, 6. – Der Maßstab, den das Gewissen anlegt, ändert sich, je nachdem die religiöse Erkenntnis des Menschen sich ändert. Solange Paulus nur den Maßstab des Pharisäismus anlegen konnte, ist er untadelig und unsträflich. Als er aber das Gesetz und seine Sündhaftigkeit in ihrer Tiefe erkannte, legte er einen andern Maßstab an; da befriedigte ihn seine eigne Gerechtigkeit nicht mehr; da erschien ihm das, womit er sich gebrüstet, als Kot und Wegwurf. Was jetzt ihn beruhigte, war die Vergebung der Sünden durch Christi Blut.

 In dieser Beurteilung ist dreierlei eingeschlossen:

  1. das Urteil über die handelnde Person, wer es sei,
  2. das Urteil über das Motiv, aus dem sie gehandelt, und
  3. das Urteil über die Kraftanstrengung, die sie zur Durchführung der Handlung aufgewendet hat.

 Erstens handelt es sich gegenüber den Versuchen des Menschen, die Schuld einer bösen That auf andere Personen oder auf die Umstände oder sonst bestimmenden Einflüsse abzuwälzen, um die Konstatierung der Urheberschaft des Menschen an seiner That und infolgedessen der persönlichen Verantwortlichkeit des Menschen für seine