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sagen, daß das Gewissen erst mit der Sünde entstanden sei durch den Ruf Gottes: „Adam, wo bist du?“, der ein Weckruf für das Gewissen gewesen sei. Gen. 3, 3 sehen wir, wie sich bei Eva das Gewissen bethätigt, wie es dem Gesetz Zeugnis gibt. Aber das Gewissen ist nicht selbst eine Legislative im Menschen, noch viel weniger die Quelle des Rechts und der Sittlichkeit. Das Gewissen bekommt seinen Inhalt, seine Lebensstoffe von anderwärts her. Sein Inhalt ist ein dem jedesmaligen religiös-sittlichen Erkenntnisstande des Subjekts entsprechender. Nur so erklärt sich, daß die Norm im Gewissen auch sich wandeln, daß die Gegenstände des zustimmenden und auch die des verwerfenden Gewissenszeugnisses und des Gewissensurteils sich ändern können, daß es über das, worüber es früher zustimmend geurteilt hat, später unter Umständen verwerfend urteilt; cf. die Lebenserfahrung des Apostels Paulus Akt. 23, 1; 26, 9; 2. Tim. 1, 3 mit 1. Tim. 1, 13–15 (Phil. 3, 7. 8) und die Tatsache der Verschiedenheit der Gewissensforderungen bei den verschiedenen Individuen und Völkern. Das heidnische Gewissen hat zum Inhalt das natürliche Gesetz, das israelitische Gewissen das geoffenbarte Gesetz des Alten Testaments, das christliche Gewissen die Offenbarung Gottes in Christo (das Bewußtsein des durch Christum an unserer Statt erfüllten und nun auch von uns in Kraft des hl. Geistes zu erfüllenden Gesetzes, das geistlich ausgelegte Gesetz, das Gesetz Christi, Matth. 5–7).

 Anm. Allerdings schließt der Mensch von dem Gesetz, welches das Gewissen bezeugt, auf den Gesetzgeber, von dem Gericht im Gewissen auf den Richter, aus dem Unbedingten (neutr.), das sich im Gewissen kundgibt, auf den Unbedingten (masc.). So wird das Gewissen (in seiner Bezogenheit auf das natürliche Sittengesetz) zugleich eine Quelle religiöser Erkenntnis. – Es gibt allerdings noch eine Quelle der natürlichen religiösen Erkenntnis, die Werke Gottes in der Schöpfung, woraus die Vernunft auf den Urheber und Schöpfer schließen muß, Röm. 1, 20. Aber hier wird mehr die Macht, Weisheit, Güte Gottes, dort seine Heiligkeit und Gerechtigkeit erkannt. Die letztere Erkenntnis hat den großen Vorzug, daß sie nicht pantheistisch verkehrt werden kann, sondern daß man auf einen persönlich wissenden und wollenden Gott kommen muß. (Die Gerechtigkeit Gottes wird allerdings auch aus der Geschichte erschlossen.)
 „Die Pflicht in ihrer unverbrüchlichen Heiligkeit setzt den Heiligen über uns, der Imperativ den Imperator, die Auktorität setzt den Auktor voraus, das ,du sollst‘ ein Ich, welches das innere Recht hat, uns so zu gebieten und die Macht, seinem Gebote Geltung zu verschaffen“ (Auberlen).