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Röm. 7, 17. 24; Hebr. 12, 1. Dieses Verhältnis der Erbsünde zur Natur des Menschen hat etwas Accidentielles. Aber der Ausdruck ist durchaus nicht zureichend. Das Verhältnis ist so einzigartig, daß die gewöhnlichen Kategorien nicht hinreichen.

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 Die Erbsünde besteht aus zwei Stücken, dem Erbmangel (s. o.), dem Verlust der ursprünglichen Gerechtigkeit, Röm. 7, 18 (defectus) und der Erblust (carnalis concupiscentia, affectus), Röm. 7, 23; Jak. 1, 14. Der Mensch ist in seinem jetzigen Zustand „Fleisch“, Joh. 3, 6; cf. Gen. 6, 3. Darunter wird in der Schrift die Leiblichkeit des Menschen, ferner die menschliche Natur in ihrer leiblichen Erscheinung, auch abgesehen von der Sünde (1. Joh. 4, 2), und endlich wird in den obigen Stellen die sündhaft beschaffene menschliche Natur bezeichnet, welche zugleich eine die Person bestimmende Macht hat; Röm. 7, 18: „Ich weiß, daß in mir, d. i. in meinem Fleische (soweit ich dem Einfluß der sündlichen Natur ausgesetzt bin), wohnt nichts Gutes.“ Es ist die Bezeichnung des natürlichen Menschen, der eben σαρκικός, wie ψυχικός (s. o.) heißt. Wiewohl der Sitz der Sünde in dem widergöttlichen Triebleben des Menschen ist, in seiner leiblichen und seelischen Natur, so ist das Personenleben mit den höheren Kräften in diesem Zustande, wenn auch nicht unbedingt und in allen Fällen, der Natur dienstbar, daher von einem „Willen des Fleisches“ (Eph. 2, 3) und einer fleischlichen Gesinnung (Vernunft νοῦς), Kol. 2, 18; cf. Röm. 8, 5–7 die Rede ist. Das Gesetz in den Gliedern diktiert, was der Wille wollen und die Vernunft denken soll, Röm. 7, 23 („es nimmt mich gefangen in der Sünde Gesetz, welches ist in meinen Gliedern“). Es ist demnach die Erbsünde eine solche tiefe Verderbnis unser Natur, daß sie nichts unberührt gelassen hat. Unsere Erkenntnis ist verfinstert und entbehrt des Lichts in göttlichen Dingen, 1. Kor. 2, 14; dem Willen fehlt die Kraft zum göttlichen Guten, dagegen ist er leicht zu allem Bösen geneigt. „Das Gute, das ich will etc.,“ Röm. 7, 19. Doch darf die tiefe und gründliche Verderbnis der menschlichen Natur samt der Person, also des ganzen Menschen, soweit sie ihm angeboren ist, von der Luther mit Recht sagt, daß sie tiefer sei, als daß sie ein Mensch erfassen und ergründen könne (Jer. 17, 9–10), daß sie aufs Wort hin geglaubt werden müsse, nicht anders gefaßt werden als eine Disposition zu allen möglichen, auch den schwersten Sünden, nicht als ein Verderben, das keiner Steigerung fähig wäre, im Gegenteil, es gibt eine