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der seinem Bilde (in dem gefallenen Zustand) ähnlich war“ (Gen. 5, 3), gilt nun von allen Menschen. Sie tragen alle das Bild des ersten Adam, 1 Kor. 15, 49, und leben als seine Kinder sein Leben.

 Ebenso haben alle Menschen den sündhaften Zustand überkommen, und zwar durch die Zeugung. Bei ihnen ist er Erbsünde (peccatum originale); Ps. 51, 7; Joh. 3, 6; Eph. 2, 3. Die Fortpflanzung der Sünde erfordert die Annahme, daß Leib und Seele sich fortpflanzen (Traducianismus, nicht Creatianismus). Dazu kommt noch der Umstand, daß der sündhafte Zustand bei ihnen nicht Folge ihrer eigenen, sündhaften That ist, sondern Folge einer fremden That, der That der ersten Eltern. Daher auch bei den Nachkommen fremde Schuld, Erbschuld (imputatio peccati adamitici). Diese Zurechnung erscheint insofern der göttlichen Weltordnung entsprechend, als man den organischen Zusammenhang der einzelnen Menschen mit ihrem natürlichen Haupt, Adam, ins Auge faßt und das ganze Geschlecht als eine Einheit ansieht, wie es die Schrift betrachten lehrt, Röm. 5, 12 ff.; Matth. 23, 34–39; Deut. 31, 21, und wenn man hinzunimmt, daß infolge der natürlichen Inhärenz der Sünde sich jeder Mensch des sündigen Zustandes als seines eigenen bewußt wird und sich, obgleich er als die Ursache die erste Sünde ansehen muß, nicht unschuldig weiß, weil er den eigenen sündigen Zustand als die Quelle aller andern Sünden, die er thut, erkennt. Alles andere hat der Mensch von Gott; die Sünde ist ihm eigen. Sofern der Mensch ihm selbst lebt, soweit sein Eigenleben geht, soweit reicht die Verderbnis der Sünde.

 Unter Sünde haben wir aber alles zu verstehen, was Gott mißfällt und seinem Gesetz zuwider ist, also nicht bloß, wie die römische Kirche lehrt, die mit vollem Willen und vollem Bewußtsein vollzogenen widergöttlichen Akte, sondern auch die unbewußten unwillkürlichen Äußerungen der verderbten Natur und selbst den sündlichen Zustand (abgesehen von den daraus entsprungenen Äußerungen und Willensakten), den wir von Geburt her haben. Wir nennen ihn Erbsünde. Die Erbsünde ist nicht des Menschen Substanz geworden; aber sie ist auch nicht ein bloß äußerlich anhaftender Makel, sondern sie ist eine Verderbnis der menschlichen Natur, welche tief eingedrungen ist in dieselbe und so mit ihr verwachsen ist, daß man die Sünde quasi seine andere Natur nennen könnte, und welche ihm so lange und so fest anhängt, daß sie beim Christen nur der Tod scheiden kann;