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daß er der höchste Gute und Vollkommene ist. – Die Forderung, Gott ähnlich zu werden, bezieht sich vor allen Dingen auf die Heiligkeit. Aber das Wahre hängt zusammen mit dem Guten, und es ist ein Thun der Wahrheit in der heiligen Schrift befohlen, woraus wir sehen, daß das Erkennen auch ethisch bestimmt sein soll, und die Seligkeit ist dann die Folge des gottgemäßen Verhaltens in der Wahrheit und Heiligkeit.

 Der ethische Inhalt des göttlichen Ebenbildes besteht also in einem gottgemäßen Leben in Wahrheit, Heiligkeit und Seligkeit. Diese Eigenschaften, die sich abbildlicherweise beim Menschen finden, sind nicht unverlierbar, sondern sind abhängig von seiner Selbstbestimmung, und dies ist der Grund der Unterscheidung zwischen der substantiellen und ethischen Seite des göttlichen Ebenbildes.

 Die sittliche Beschaffenheit des ersten Menschen bezeichnet man mit Unschuld. Es ist damit ein gewissermaßen kindlicher Zustand bezeichnet; unvollkommen insofern, als das Gute dem Menschen zunächst nur anerschaffen, als Trieb in ihn gelegt, aber noch nicht bewährt war, noch nicht freie sittliche That, Errungenschaft des Menschen geworden war. Insofern sollte der Mensch das, was er war, immermehr werden. Unschuld ist die sittliche Beschaffenheit der Seele, welche von dem Gegenteil des Guten noch keine Erfahrung gemacht hat, ja gar nicht die Möglichkeit des Gegenteils des Guten kennt (cf. 2. Kor. 5, 21!). Es ist das Gute in seiner naiven Form und Gestalt. Daß die ersten Menschen diesen Zustand besaßen, geht deutlich hervor aus Gen. 2, 25. Sie kannten also das Böse noch nicht. In dieser unbewußten Reinheit seiner Willensrichtung und dem unmittelbaren Einssein seines Willens mit dem Willen Gottes bestand die Heiligkeit des Menschen. Dazu rechnen die Alten noch die Harmonie der oberen und niederen Kräfte, die nicht dem Szepter der Vernunft sich entzogen, sondern sich willig unterordneten, während nach dem Sündenfall eine Rebellion der niederen Kräfte gegen die oberen entstanden ist.

 Nach der intellektuellen Seite besaß der Mensch eine vollkommene Erkenntnis Gottes und der kreatürlichen Dinge. Diese war nicht eine erworbene Erkenntnis, wie sie ein Mensch auf dem Weg des Studiums erringt, sondern ein intuitives Erkennen, eine geistige Anschauung von den Dingen, insofern eine mühelos gegebene Sache, ein Einblick, ein Tiefblick, der den Menschen befähigte, das Wesen der Kreatur und der kreatürlichen Dinge zu durchschauen. Dafür haben wir