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kirchlichen Erkenntnis hinausführen, cf. Luthers Erkenntnis der Rechtfertigung, an Röm. 1, 17 gewonnen; doch muß der Christ wohl zusehen, daß er nicht seinem eigenen Kopf folge, in diesem Fall wird der Gebrauch des Guten, weil es in falscher Weise geschieht, zum Schaden ausschlagen; es gilt der Leitung Gottes folgen, Phil. 3, 15. Im übrigen bildet 2. Tim. 3, 15–17 für alle Christen eine ernste Aufforderung, die heilige Schrift zu lesen und in ihr zu leben. Doch soll das Lesen als ein Gottesdienst betrachtet und mit Gebet begonnen werden (intrantibus pulsandum!); man soll das Gelesene überdenken, im Herzen bewegen und von dem Lesen etwas mit fortnehmen. – Vgl. A. H. Franckes kurzen Unterricht, wie man die heilige Schrift zu seiner rechten Erbauung lesen soll. –

 5. Die Betrachtung, meditatio, contemplatio, Luk. 2, 19 (Maria bewegte alle diese Worte in ihrem Herzen); Ps. 1, 2 (Er sinnt über seinem Gesetz Tag und Nacht). Gegenstände der Betrachtung sind: „Gott und göttliche Dinge, die Heilsgeschichte und die Heilsthatsachen, namentlich aber Gottes Wort, in das man sinnend sich vertieft, um die göttliche Kraft, die in ihm ist, zu schmecken. Viele Psalmen sind meditationes et contemplationes. Die meditatio ist die nachsinnende Betrachtung des Geistes, der die Dinge von allen Seiten betrachtet, um in ihr Wesen einzudringen. Die contemplatio ist mehr die in einen Gegenstand versunkene, ruhige Beschauung, die den Gegenstand in seiner Ganzheit auf sich wirken läßt, weshalb ein Leben, das sich diesen Zweck gesetzt hat, ein beschauliches heißt. Ausgezeichnete Schriften dieser Art sind die meditationes von Augustin und Johann Gerhard. Der Zweck aller Betrachtung ist die Versenkung in Gott, tiefinnerlicher Verkehr mit ihm, was ja das Ziel aller Religion ist. Eine Seele, die das kann, hat eine hohe Stufe religiösen Lebens erreicht und hat den Gewinn, daß ihr geistliches Leben eine Stetigkeit erreicht hat, während auf den niedrigen Stufen das geistliche Leben vielfach unterbrochen wird und der Faden immer von neuem angeknüpft werden muß. Ein stetiges „in und mit Gott leben“ gibt der Seele eine besondere Weihe und Verklärung in sein Bild.

 Betrachtung und Gebet sind häufig miteinander verbunden und gehen ineinander über. Das Gebet nimmt häufig seine Nahrung aus der Betrachtung. Zu dieser gehört auch die Einkehr bei sich selbst, um seine eignen Seelenzustände kennen zu lernen und sich darüber Rechenschaft geben zu können. Zur Betrachtung gehört auch