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 3. Es findet in der römischen Kirche eine Vermischung von Rechtfertigung und Heiligung statt. Dies bringt in die römische Ethik ein gesetzliches Element, den gesetzlichen rechnerischen Charakter, vermöge dessen bei jeder guten Handlung die Frage naheliegt und oft auch wirklich gethan wird: „Was wird mir dafür?“, andrerseits aber auch einen Charakter der Unruhe und Angst, die zur Erlangung der Seligkeit nie genug gethan zu haben glaubt.

 4 a. Ein weiterer Unterschied ist die verschiedene Auffassung von dem Verhältnis des Christentums zum rein Natürlichen und Menschlichen. Der Protestantismus sieht die wahre Sittlichkeit in der Bewährung des Menschen in den natürlichen, von Gott geordneten Lebensverhältnissen, der Katholizismus in der Befolgung selbsterwählter Wege außerordentlicher Führung des Lebens (doppelte Sittlichkeit!). Die Heiligung und Durchdringung des Natürlichen vom Geistlichen ist der Grundgedanke der protestantischen Ethik, Vernichtung des Natürlichen als des Materiellen, asketische Verwerfung der Kreatur und Verzicht auf die Kreatur ist das Eigentümliche der katholischen Ethik.

 4 b. Die römische Kirche unterscheidet sich auch noch darin, daß sie nicht die Unabhängigkeit des Weltlichen, die selbständige Berechtigung desselben in seiner Sphäre anerkennt, während die lutherische Sittlichkeit das Christliche und Weltliche, jedes in seiner Sphäre anerkennt und als unabhängig betrachtet. Vgl. z. B. das Verhältnis von Staat und Kirche.

 Auf die reformierte Ethik ist nicht ohne Einfluß die Prädestinationslehre und ihre Konsequenzen. Es ist auch in der reformierten Kirche eine mehr gesetzliche Richtung zu bemerken, wie man z. B. an der Auffassung des Sonntagsgebotes sieht. Der Vorzug der lutherischen Sittenlehre ist der echt evangelische Geist der Freiheit und die rechte evangelische Gebundenheit durch die Ziele, welche das göttliche Gesetz steckt, ferner das gesunde sittliche Urteil über alle Lebensverhältnisse. Die reformierte Richtung zeigt eine gewisse spröde Stellung zur Kunst; Geschöpfliches und Göttliches, Natürliches und Geistliches erscheinen ihr als disparat. Der echt reformatorische Geist, wie er in den lutherischen Symbolen sich ausspricht und in den Schriften Luthers und anderer, macht ebenso frei von aller gesetzlichen Ängstlichkeit, als er ein ernstes Ringen nach der Heiligung erzeugt (vgl. Luthardt, Luthers Ethik, pag. 35).