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man dieselben kennen muß, um richtig zu handeln, gehört das Gesetz hieher. Im Gesetz sind aber auch allgemeine Grundsätze (Liebe Gottes und des Nächsten) enthalten; desgleichen im Evangelium (himmlische Gesinnung, christliche Freiheit). So gehört denn das Wort Gottes in seinem ganzen Umfang hieher, besonders soweit es Beispiele des Handelns in der Geschichte (das Leben des HErrn, seiner Apostel) und Lebensweisheit in Aussprüchen (Sprichwörter) enthält.

 Die Vermittlung aber der Aussage, was in jedem einzelnen Fall zu thun und zu lassen sei, übernimmt das Gewissen, welches bei Christen durch Gottes Wort erleuchtet und gebunden ist und eine Norm abgibt, die ebenso universell ist, als sie für die einzelnen Fälle ausreicht (vgl. die Lehre vom Gewissen, § 23 u. s. w.). Hier hat, die Übereinstimmung mit dem göttlichen Wort im allgemeinen vorausgesetzt, jeder Christ sein eigenes Gewissen und muß nach demselben handeln, Röm. 14, 23: Was nicht aus dem Glauben (der Glaubensüberzeugung) kommt (oder dem Gewissen des einzelnen nicht entspricht), ist Sünde, vgl. v. 20 u. 5. „Ein jeglicher sei seiner Meinung gewiß.“ Es darf nichts mit Gewissensanstoß geschehen, Röm. 14, 14. Auch das als eng erkannte Gewissen muß man bei sich und andern schonen, 1. Kor. 8, 7. 9. 10. Für mich kann etwas Gewissenssache sein, was es für einen andern nicht ist; daher gibt es subjektive Gewissenspflichten auf dem Gebiete des Erlaubten. Ist man zweifelhaft, was zu thun ist, so ist die Regel, daß man das Sichere wähle, d. h. das, wo weniger Gefahr ist, daß man den Willen Gottes nicht treffe, als bei dem andern, das man auch thun könnte. (Umgekehrt ist der Standpunkt des Probabilismus.) Während man bei sich in solchen Fällen die größte Strenge anwenden muß, muß man in Beurteilung anderer, die auch in dem Falle sind, möglichst mild sein.

 Das Gewissen aber wird in solchen Fällen bestimmt durch Gründe. (Nicht bloß durch Gefühl: „Es ist mir so.“ Zinzendorf.) Es gilt also hier die Vernunft zu gebrauchen, und zwar die erleuchtete, und ist sorgfältig zu überlegen, was das Rechte und der Gott wohlgefällige Wille sei, cf. Röm. 14, 20; 12, 2. Bei der Überlegung kommt aber außer den göttlichen Geboten und deren Anwendung die spezielle Lebensführung und Lebensaufgabe in Betracht, und es ist zu erwägen, ob ein einzuschlagendes Verhalten zweckmäßig sei, oder ein andres zweckmäßiger und besser (1. Kor. 7, 38) für mich, d. h. ob ich dadurch an meiner Selbsterbauung arbeite, oder ob mir etwas hinderlich und störend sei.