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sittlichen Wert, wenn man spricht: „Dir zulieb, o Herr, will ich das thun oder lassen“, und: „meinem Bruder zulieb will ich das so oder so machen“, oder: „um meinen Weg nicht zu beschweren, will ich das so oder so machen“. Wie leicht wird es da dem Menschen, sich dies oder jenes zu versagen, was er nach der Freiheit, die er hat, sich gewähren könnte! Denn die Liebe ist lebendiger Trieb zum Guten. Sie gibt Lust und Liebe dazu, und das gibt allem Thun erst seinen wahren Wert.

 Wir müssen hier einen Blick werfen auf den Streit zwischen Pietismus und Orthodoxismus über die Stellung des Christen zu dem Erlaubten.

 Über das rechte Verhalten des Christen auf diesem Gebiet war Streit zwischen Orthodoxen und Pietisten entstanden. Die Pietisten stellten den Grundsatz auf: „Alles was der Christ thut, soll zu Gottes Ehren, des Nächsten Nutz und zum Besten des eigenen Seelenheils geschehen.“ Sie beriefen sich auf Stellen wie Kol. 3, 17; 1. Kor. 10, 31; Röm. 12, 2; 1. Joh. 2, 15, und auf Grund dieser Stellen leugneten sie die Mitteldinge, d. h. eben die freie Bewegung auf dem Gebiet des Erlaubten, faktisch. Ihnen gegenüber machten die Orthodoxen den Satz geltend: Was nicht in der heiligen Schrift verboten ist, ist erlaubt. Sie vermischten dabei die individuelle Freiheit mit der evangelischen und behaupteten infolgedessen, die Pietisten wollten das kostbarste Kleinod der evangelischen Lehre, die Lehre von der evangelischen Freiheit, antasten. Der Irrtum der Pietisten war, daß sie das Recht des Erlaubten leugneten; sie dehnten den strengen Pflichtbegriff auf alle Handlungen aus; sie bedachten auch nicht, daß die Schrift auch eine Fürsorge für den Leib befiehlt, Röm. 13, 14; Kol. 2, 23. Aber die schlimmere Einseitigkeit war doch die der Orthodoxen. Der Streit dehnte sich hauptsächlich über drei Mitteldinge aus: Theater, Spiel und Tanz. Theoretisch wird man den Orthodoxen Recht geben können; allein praktisch wird der ernste Christ auf Seite der Pietisten stehen, jedoch ohne die pietistische Gesetzlichkeit. Damit sind die damals streitigen Punkte schon im Prinzipe entschieden.

 Soweit das Theater nichts sein will als idealisierende Nachbildung der Wirklichkeit, kann man nichts dagegen einwenden, sonst müßte man die ganze weltliche Poesie verwerfen. Ebenso läßt sich gegen das Spiel an sich nichts einwenden. Auch der Tanz als rhythmische