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geduldet wird.) Das Gebiet der Freiheit ist ein Stück der Machtvollkommenheit über die Natur, welche der Mensch anfänglich bekommen und teilweise behalten hat, Gen. 9, und als Christ wieder bekommt. Hier liegt das Erlaubte des Genusses in geistiger und leiblicher Hinsicht. „Dem Reinen ist alles rein,“ Tit. 1, 15. Dazu gehört auch das Gebiet der Erholung, im Gegensatz zur strengen Pflichterfüllung und Berufsarbeit (der heilige Johannes und sein Rebhuhn).

 Das Gebiet der individuellen Freiheit erstreckt sich von den unbedeutendsten Dingen bis zu den wichtigsten und höchsten Angelegenheiten des Lebens. Ein Spaziergang und die Schließung einer Ehe, die Wahl einer Person dafür, der Besuch einer Gesellschaft und der Anschluß an einen Verein, der die höchsten Angelegenheiten des Reiches Gottes verfolgt, der Kauf einer Ware und die Wahl eines Berufs, die Art und das Maß der Wohlthätigkeitsübung, 1. Kor. 7, 20. 21; Art und Zeit des Gebets: alles das liegt auf dem Gebiet der individuellen Freiheit. Das gilt aber nicht allein von einzelnen Personen, sondern auch von Gesellschaften, die von Gott geordnet sind und die sich frei zusammenschließen; auch diese haben einen freien Spielraum zur Bewegung und können eigentümliche Formen und Gestaltungen annehmen, denn hier bethätigt sich vor allem der menschliche Bildungstrieb, die schöpferische Thätigkeit auf dem Gebiet der Religion, Kunst, Wissenschaft, des Gewerbefleißes etc. Aus dem allen sieht man, wie außerordentlich groß, reich und mannigfaltig dies Gebiet ist. In allen diesen Dingen regiert kein göttliches Gesetz, kein Gebot, sondern die freiwaltende Persönlichkeit des Menschen.


§ 63.
Das relativ Gute, das Bessere, das Beste.

 Auf dem Gebiet des sittlich Bestimmten, soweit das göttliche Gebot und Verbot reicht, gibt es kein relativ Gutes; die Erfüllung des Gesetzes ist absolut gut, die Übertretung Sünde. Aber auf dem Gebiet der individuellen Freiheit ist es anders. Hier hat man ja das Recht und die Macht, zwischen diesem und jenem zu wählen. Hier gibt es ein gut und ein besser, 1. Kor. 7, 38. Es handelt sich aber hier nicht darum, was im allgemeinen gut ist, sondern was in der Anwendung auf den besonderen Fall gut ist, 1. Kor. 10, 23, oder, wenn ich die Wahl zwischen mehreren Handlungsweisen treffe, was besser und am besten für mich, nicht aber für