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Die Kirche ist darum die höchste und vollendetste Gemeinschaftsform, dazu bestimmt, alle andern Gemeinschaftsformen in sich aufzunehmen und in verklärter Weise darzustellen. Es zeigt sich in ihr das Kindschaftsverhältnis in übernatürlicher Weise, in der Liebe der Kinder Gottes zum himmlischen Vater, das bräutliche und eheliche Verhältnis in der Verbindung der Kirche mit Christo, das Verhältnis der Volks- und Staatsgemeinschaft im Reiche Gottes, im Volk Gottes, in der Stadt Gottes als dem Mittelpunkt dieses Reichs. Darum ist es des Christen höchste sittliche Aufgabe, ein lebendiges und würdiges Glied der Kirche zu sein und sie zu fördern im Ganzen, mehr als ein rechter Vater, Sohn, Bürger zu sein. Das letztere kann man sein, ohne daß man zugleich das erstere wäre, dagegen ist das erstere zugleich der Weg zum letzteren. „Trachtet am ersten nach dem Reiche Gottes,“ Matth. 6, 33. Die Hauptäußerung der lebendigen Zugehörigkeit zu dieser Gnadengemeinschaft ist die brüderliche Liebe, 1. Joh. 5, 1 und ein Wandel im Licht, 1. Joh. 1, 6. 7.

 2. Der Unterschied der mancherlei Seiten, die die Gnadengemeinschaft der Kirche hat.

 Was oben gesagt wurde, bezeichnet mehr die innere verborgene Seite der Kirche, ihr inneres Wesen, d. h. den lebendigen Zusammenhang der Glieder der Kirche mit Gott und den Brüdern im Glauben und in der Liebe; die Kirche hat aber als geschichtliche Erscheinung auch eine sichtbare Seite, sie ist auch eine greifbare sichtbare Gemeinschaft mit bestimmter Gestaltung. Diese besteht in den unmittelbaren göttlichen Stiftungen und Einrichtungen, dem Wort und den Sakramenten nebst dem heiligen Amt und in den notwendigen und unausbleiblichen Äußerungen des Glaubens, im Bekenntnis zum Wort und in der Übung des Gottesdienstes, und in den notwendigen Äußerungen der Liebe, besonders gegen die Hilfsbedürftigen unter den Brüdern. Alle diese Äußerungen des Glaubens sind ebensoviele Pflichten, die der Christ gegen die Kirche hat, soferne sie in die Erscheinung tritt.

 Von dieser auf göttlicher Stiftung und auf den unbedingt zu ihrer Existenz erforderlichen Lebensäußerungen ruhenden Seite – also ihrer Wesenhaftigkeit (zu welcher ihr inneres Wesen und die notwendige äußere Erscheinungsform gehört) – ist zu unterscheiden ihre mehr oder weniger menschlich zufällige wirkliche Erscheinungsform, welche dadurch bedingt ist, daß sie mit ihrem göttlichen Leben in die geschichtliche Entwicklung eingehen muß und dadurch sogar auch die Sünde