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dar, wie es sein soll, wie es im Lichte der Idee geschaut, wird und so ist es wahr, was man gesagt hat: „die Kunst ist eine Anticipation der Weltverklärung“; und so hat Goethe nicht so unrecht, wenn er sagt: „die Kunst ist ein natürliches Evangelium“. Sie predigt von dem sündlosen Urstand und der makelfreien Zukunft. Da offenbart sich die Verwandtschaft der Kunst mit der Religion. Die Kunst ist freilich nur ein Ahnen und die Religion Offenbarung; beide stellen aber doch der entarteten Wirklichkeit die gottgewollte Idee entgegen, und beide erheben in ihrer Art über die Wirklichkeit, nur daß die Kunst keinen Weg zeigt, wie man aus dieser gegenwärtigen Korruption erlöst werden kann. Die Kunst kann und soll dem Heiligen dienen; zwischen dem Reich des Guten und dem des Schönen besteht kein Gegensatz. An und für sich ist Kunst wie Wissenschaft etwas dem natürlichen Gebiet Angehöriges, rein Menschliches; ebendarum aber auch etwas Erlaubtes. So ist in der Poesie die Behandlung des unerschöpflichen Themas der Lyrik: „Der Liebe Lust und Leid“ vollkommen berechtigt, denn der Christ lebt als Mensch auch dieses Leben. Was der Dichter besingt, sind, abgesehen von dem daran klebenden Sündigen, gottgeschaffene Regungen in der Menschenbrust. Es ist eine pietistische Verengerung des Kreises des Erlaubten, wenn das alles als Eitelkeit der Welt angesehen wird. Dann müßte man alle Freude an der Natur verwerfen. Es ist eine große Anschauung, die uns die Reformation gebracht hat, daß das Christentum das Recht des Menschlichen, soweit es nicht Sünde ist, nicht negiert, sondern erst zur Geltung gebracht und verklärt hat.


§ 59.
Die Gnadengemeinschaft der Kirche.

 1. Unterschied dieser Gemeinschaft von allen vorher behandelten.

 Sie ist wie keine andere unmittelbar von Gott gestiftet und von ihm geschaffen an Pfingsten, also übernatürlichen Ursprungs. Alle andern sind, wenn auch von Gott kommend, natürlichen und geschichtlichen Ursprungs. Sie haben auch Ziele und Zwecke nur in dieser Zeit und sind zeitlich; die Gemeinschaft der Kirche beginnt zwar auch hier, vollendet sich aber erst in der Ewigkeit. Die Gemeinschaft der Kirche beruht auch nicht auf Naturbestimmtheit oder bloß menschlicher Wahl, sondern auf göttlicher Auswahl (Akt. 2, 47), nicht ohne daß auf die menschliche Entscheidung für und wider Christum Rücksicht genommen ist.