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(honestum) ein sittliches Motiv werden: justitia civilis. Hier tritt an die Stelle der Bruderliebe die allgemeine Menschenliebe, es ist dies aber auch nur eine unvollkommene Sittlichkeit. Alle Humanität kann in dem Menschen doch nicht die Selbstsucht überwinden noch ihn zu wahren Opfern bringen. Die Durchschnittsmasse der Menschen wird von der Humanität nicht über den krassen Egoismus hinausgeführt werden (Röm. 5, 7.)

 Der religionslosen Sittlichkeit fehlt:

 1. Die Norm alles sittlichen Handelns: das göttliche Gesetz. Es dient dann nur das natürliche Sittengesetz als Norm des Handelns; der Mensch ist sein eignes Gesetz und sein eigner Gesetzgeber, und damit fehlt das Licht der Erkenntnis, was das rechte sittliche, Gott wohlgefällige Handeln sei.

 2. Jener Halt, der aus dem Bewußtsein hervorgeht, daß man Gott eine Verantwortung und eine Rechenschaft für sein Thun schuldig sei. Die religionslose Sittlichkeit kennt kein höheres Tribunal, als das eigene Gewissen, und das ist nur zu oft geneigt, den Menschen zu absolvieren. Ganz anders ist es, wenn der Mensch weiß, daß er Rechenschaft geben muß vor dem Richterstuhle Gottes und Christi, das giebt der christlichen Sittlichkeit Halt. (2. Korinth. 5, 10.)

 3. Die sittliche Kraft, das christliche Motiv der dankbaren Liebe zu Gott und der Liebe zu den Brüdern fehlt. Es fehlt außer den Motiven auch noch:

 4. Der Beistand der göttlichen Gnade, die übernatürliche Kraft. Statt dessen hat die religionslose Sittlichkeit nichts als die Humanität, die dem kalten Mondschein gleicht, der zwar leuchtet, aber nicht wärmt.


§ 6.
Begriff der Ethik.

 Die Ethik ist die wissenschaftliche Darstellung der Lehre von der sittlichen Vollendung des Menschen. Es gibt eine allgemeine oder philosophische Ethik und eine christliche. Eine sittliche Weltanschauung und sittliche Bestrebung und Leistung hat es allezeit gegeben, auch bei den Heiden. Darum haben schon heidnische Philosophen, vor andern Plato und Aristoteles, die Wissenschaft der Ethik angebaut und auch unter dem Christentum ist die allgemeine Ethik, welche von der Offenbarung absieht, bis auf den heutigen Tag ein Zweig der