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 Auf der Basis der leiblichen Naturbestimmtheiten entwickeln sich teils durch leibliche Krankheit (Erkrankung des Blutes, der Nerven,) teils durch schmerzliche und erschütternde Erlebnisse, teils durch moralische Verschuldung, teils auch durch Vererbung: Gemüts- und Geisteskrankheiten. Diese sind Störungen des Seelen- oder Geisteslebens, welche entstehen, wenn die Organe, welche den Zusammenhang zwischen Leib und Seele vermitteln, ihren Dienst nicht richtig thun. Sie sind teils heilbar, teils unheilbar. Die Heilmittel sind teils ärztliche, teils geistliche. (cf. Löhe, Vom Einfluß leiblicher Krankheiten etc. etc.)


§ 5.
Verhältnis von Sittlichkeit und Religion.

 Es gibt keine wahre Sittlichkeit ohne Religion und keine Religion ohne Sittlichkeit. Die heidnischen Religionen haben wenig, oft gar keinen sittlichen Gehalt, sie bestehen in Riten und Observanzen. Je mehr sich die Religion veräußerlicht im Zeremonienwesen, desto mehr verflüchtigt sich ihr ethischer Gehalt, desto barer wird sie der Sittlichkeit. Wir sehen diese Entartung der Religion im pharisäischen Judentum, auch in manchen Erscheinungen des Katholizismus, namentlich im romanischen.

 Die christliche Religion ist durchaus ethischer Natur; Glaube ist ja Religion und Sittlichkeit in primitiver Einheit; denn der Glaube ist ebenso sehr das religiöse Organ, das Organ zur Annahme des Heils als andererseits ethisches Prinzip, die Wurzel und der Keim aller Tugend, ethische That des Gehorsams, ὑπακοὴ τῆς πίστεως. Die christliche Religion ist ja Gemeinschaft mit Gott, dem Heiligen, mithin kann diese Gemeinschaft nicht bestehen ohne Sittlichkeit, ohne Streben nach Heiligung, ohne sittliches Verhalten des Menschen. Diesen ethischen Charakter des Christentums hebt sonderlich Johannes hervor im 1. Brief im 1. Kap.: Man könne sich nicht rühmen, Gemeinschaft mit Gott zu haben, und doch sündigen. Die Gemeinschaft mit Gott schließt die Sünde aus und die Sünde die Gemeinschaft mit Gott. Von den Schwachheitssünden, die wir trotzdem begehen, reinigt uns Christi Blut. Religion ist die receptive Seite des Glaubens, Sittlichkeit ist die aktive Seite desselben: das Thätigsein in der Liebe.

 Wie also keine wahre Religion ohne Sittlichkeit, so auch keine wahre Sittlichkeit ohne Religion. Es giebt allerdings eine gewisse Sittlichkeit ohne Religion. Es kann auch die Idee des Menschenwürdigen