Seite:Friedrich Bauer - Christliche Ethik auf lutherischer Grundlage.pdf/22

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

und deren Wohl, so hat doch auch die individuelle Eigentümlichkeit und ihre Pflege ihre volle Berechtigung. Das liegt darin, daß jeder Mensch Selbstzweck ist; aber sein Ziel kann er nur erreichen in dem allgemeinen Zweck. „Aufgehen im Ganzen“ jedoch ist eine Forderung, die wider die Sittlichkeit streitet. Durch die Hingabe an den allgemeinen Zweck wird der Mensch entselbstet und sein egoistisches Eigenleben getötet. In dem Maße, als dies geschieht, wird er von sich selbst frei und seine Eigentümlichkeit gereinigt, gehoben, veredelt, verklärt; und das ist die sittliche Aufgabe des Menschen. So vereinigt sich das besondere Streben mit dem allgemeinen. Pflege und Ausbildung seiner Eigentümlichkeit ist Pflege des Besten, was der Mensch von Natur hat.

 Wird die Eigentümlichkeit des Menschen in einseitiger oder verkehrter Weise genährt und gestärkt, so giebt es Zerrbilder, Karikaturen von Menschen. Wird die natürliche Eigentümlichkeit in Zucht gehalten, d. h. dem allgemeinen Lebenszweck dienstbar gemacht, und mit Bewußtsein gepflegt und gestärkt, so bekommt sie einen sittlichen Wert und es kommt zur natürlichen die sittliche Eigentümlichkeit. Dabei gehen alle Kräfte empor, und der Mensch fühlt eine Befriedigung, wie sie die Förderung des Lebenszweckes gibt. (cf. Steffens, Karikaturen des Heiligsten.)

 Wenn ein Mensch nach seiner Freiheit sich entschieden hat für das Gute oder Böse und dies als bleibende Lebensrichtung festhält, unter allem Wechsel der Umstände immer von seiner sittlichen Lebensanschauung aus handelt und stets als der Gleiche erscheint, so hat er Charakter. Der Charakter bildet sich und wird errungen durch die freie, sittliche Bestimmung. Diese prägt dem Menschen erst seine Eigentümlichkeit auf, die Charaktereigentümlichkeit. Zeigt der Mensch darin große Beharrlichkeit, auch unter schwierigen Umständen, so nennt man das Charakterfestigkeit; tritt er auch handelnd hervor und überwindet entgegenstehende große Hindernisse, so nennt man das Charakterstärke. Ist ein Mensch schwankend in seiner Gesinnung, in seinen Grundsätzen, in seiner Handlungsweise, so nennt man das Charakterlosigkeit. Der Charakter zeigt sich ebenso im Guten, wie im Bösen, je nachdem das Gute oder Böse stehende Norm und Lebensrichtung geworden ist. Man redet von einem edlen, christlichen Charakter, von Charakterbildung. Die Charaktereigentümlichkeit im Bösen entspringt aus der Bosheit und besteht in der Böswilligkeit. Man redet von Charaktersünden.