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Die Römischen haben die Ehe gegen das Cölibat der Geistlichen, Mönche und Nonnen hintangesetzt, zu nicht geringem Schaden derselben. Die Reformation hat den ehelichen Stand zu vollen Ehren gebracht. Aber der Gegensatz hat eine Einseitigkeit erzeugt, daß man den jungfräulichen Stand als Stand verächtlich behandelt. Es ist in protestantischen Schriften, selbst öffentlich in Agenden, in Kirchenordnungen die Ehe als Gebot angesehen und behandelt worden nach 1. Kor. 7, 2, während zwar der Mensch zur Ehe geschaffen und befähigt ist, es aber doch in seiner Macht und Entscheidung steht, ob er heiraten will oder nicht. Die Ehe gehört nicht zu dem Gebotenen, sondern zu dem Erlaubten, sonst müßte Nichtheiraten, wenn keine äußern Hindernisse bestehen, Sünde sein. Es ist nicht ein Grundsatz der Reformatoren, aber es hat sich, weil kein Gegengewicht gegeben war, wie von selbst in der protestantischen Kirche die allgemeine Meinung gebildet, es sei ein Unglück, wenn jemand nicht verheiratet sei, der Zweck des Lebens sei verfehlt, namentlich beim Weibe. Diejenigen, welche aus freier Wahl ehelos blieben, sind mit einer gewissen Geringschätzung angesehen und als Sonderlinge behandelt worden. Das kommt daher, weil die lutherische Kirche keine Gelegenheit hatte, den Segen und die Herrlichkeit eines reinen und christlichen Cölibats aus eigner Erfahrung kennen zu lernen. Seitdem die Mission und die Diakonie eine gegenteilige Erfahrung gibt und die Notwendigkeit eines solchen Standes für gewisse Fälle zeigt, wird auch das 7. Kapitel des 1. Korintherbriefes wieder recht verstanden und ist die Erwählung des jungfräulichen Standes wieder mehr zu Ehren gekommen, wenn das gleich noch nicht so geschieht, wie es zu wünschen ist. Es gibt bei uns auch außerdem ein Cölibat, aber ein unfreiwilliges. Ist das freiwillige recht gewürdigt neben der Ehe, so geht auch auf das unfreiwillige ein verklärender Schein und heiligende Kraft aus. Wenn darin Gottes Wille und Fügung erkannt wird und die göttlichen Gedanken dazu gegeben werden (Matth. 19, 12; 1. Kor. 7), die zur Verherrlichung des ehelosen Standes dienen, so wird auch dieser Stand gehoben, es wird dem Christen im betreffenden Fall leichter gemacht, die Anfechtungen auf diesem Gebiet zu überwinden. Das übt einen mächtigen Einfluß auf unsre gesamte Jugend aus für die Zeit, bis sie in die Ehe tritt. Der einzige Gedanke, daß alle Sehnsucht nach der Ehe ersetzt werden könnte dadurch, daß sich die Seele in ein bräutliches Verhältnis zu Christo begebe und sich Gott verloben könne, hat