Seite:Friedrich Bauer - Christliche Ethik auf lutherischer Grundlage.pdf/204

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

wird sie für einen nicht so schwer ins Gewicht fallen, der sich erinnert, wie schon ein apostolischer Vater, Athenagoras, in unevangelischer und schriftwidriger Strenge so weit ging, daß er die zweite Ehe ein adulterium honestum nannte. Ein Mann, wie Hieronymus, der so sehr geneigt war, das jungfräuliche Leben zu überschätzen, bezeugt doch, daß zu seiner Zeit die Ehe verwitweter Priester, ja sogar die von Bischöfen, keine Seltenheit gewesen sei. Und von demselben Hieronymus stammt eine zweite treffliche Bemerkung, die sich gegen die angebliche Vollkommenheit des monogamus im Vergleich zu dem digamus richtet. Er führt ein Beispiel an: ein junger Mann habe seine Frau verloren, hierauf eine zweite geheiratet, die ihm auch sofort durch den Tod entrissen worden sei, worauf er dann die übrige Zeit seines Lebens enthaltsam und ehelos geblieben sei; ein anderer habe bis in sein Alter in der Ehe und in geschlechtlichem Umgang mit seinem Weibe gelebt. Welcher sei nun enthaltsamer gewesen?

 Aus diesem Grunde wird man also nicht nur kein fremdes Gewissen durch eine zweifelhafte Auslegung binden dürfen, sondern auch selbst, wenn man in diesem Falle wäre, nicht unnötig sich ein Gewissen machen, da, wenn ein Gebot nicht deutlich ist, man doch unmöglich verpflichtet sein kann, die strengere Auffassung wählen zu müssen. In der früheren Zeit der lutherischen Kirche war Wiederverheiratung die Regel, cf. Calov in Wittenberg; Löhe hielt Nichtwiederverheiratung für das Bessere, vollzog aber bei einem sich wieder verheiratenden Geistlichen auf Ersuchen selber die Trauung.

 Schwierigkeit macht 1. Tim. 5, 9, wo von der auf Kosten der Gemeinde zu erhaltenden Witwe gefordert wird, daß sie sei ἑνὸς ἀνδρὸς γυνή. Vielleicht ist diese Bestimmung zu verstehen nach dem, was oben von spartanischen Verhältnissen erwähnt ist, daß der Ausdruck nur besagen soll: die in Monogamie gelebt hat. (Wir dürfen, trotz des Gebrauchs der Wiederverehelichung, doch sagen, daß bei uns die Monogamie herrsche.) Sodann wird eine Frau, welche das Unglück hatte, früh ihren Mann zu verlieren und dann nach des Apostels Anweisung 1. Tim. 5, 14 handelte, kaum um deswillen untüchtig für jene Ehrenstellung geworden sein.

 5. Der jungfräuliche und der Witwen-Stand.

 Der jungfräuliche Stand ist gleich dem ehelichen von Gott geschaffen und darum gleicher Ehren wert und gleicher Heiligung fähig. Nur wenn beide Stände geehrt werden, steht jeder von beiden in Blüte.