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 Es gibt aber auch ein Gebiet freier Handlungen, da der Mensch durch seine Wahl zwischen zwei entgegengesetzten Handlungen nicht sündigt, da er aber je nach Umständen gut, besser, am besten handeln kann, oder aber weniger gut, am wenigsten gut. Das ist das relativ Gute, dafür gibt es keine allgemeine, überall anwendbare Regel; es muß jeder Fall nach seinen besonderen Umständen erwogen werden. Man nennt das kasuelle Behandlung. –


§ 3.
Die ethischen Kategorien und die menschlichen Grundkräfte.

 Das sittlich Gute ist durchaus praktischer Natur (es handelt sich um Erreichung eines Zieles) und nimmt die treibenden Kräfte des Menschen in Anspruch, die Triebe und den Willen. Aber alles Handeln ruht auf Erkenntnis der richtigen Grundsätze für das Handeln, auf der Wahrheit. Das Wahre in Handlung gefaßt (Joh. 3, 21) gibt das Gute. Das Gute und Wahre sind im innersten Grunde eins und können nie in Widerspruch zu einander stehen. Das Gute will aber nicht bloß aus Überzeugung und Pflichtgefühl gethan sein; es nimmt auch das sittliche Gefühl in Anspruch, welches sich im Wohlgefallen am Guten (Phil. 4, 8; Röm. 7, 22) und im Abscheu am Bösen kund gibt. Das Gute aber erweckt Wohlgefallen, weil es zugleich schön ist. Das Schöne aber ist die Harmonie, in welcher das Innere und Äußere bei einer Sache steht, die ihrem Wesen entsprechende Form. Die Darstellung des sittlich Guten in seiner Schönheit, d. h. in seiner Gott und Menschen gefälligen Form ist das Edle (καλόν). Das Böse ist an sich häßlich und kann vom Guten nur den Schein der Schönheit borgen. Das Gute und das Schöne ist im innersten Grunde eins. Wie Gott in seiner Güte und Wahrheit die höchste Schönheit ist, so ist es auch sittliche Aufgabe für den Menschen, der Gott ähnlich werden soll, das Schöne oder, was dasselbe ist, das Ideale in sich, an sich und in seiner Umgebung mit Liebe zu pflegen. Diese Pflege ist ein mächtiges Erziehungsmittel zum Guten. Daraus ergibt sich, daß die Sittlichkeit den ganzen Menschen nach allen seinen Kräften in Anspruch nimmt. Es handelt sich zuvörderst um gründliche und genaue Kenntnis der sittlichen Wahrheiten, um Schärfung des Verstandes zur Erzielung genauer Begriffsbestimmungen, zur richtigen Unterordnung des Einzelnen und Besonderen unter seinen allgemeinen Gesichtspunkt und besonders um