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schonende Barmherzigkeit im Wort und Urteil. Das Mittel des geistigen Austausches und Verkehrs ist ja das Wort und die Sprache. In der Gemeinschaft braucht jeder einen Boden, auf dem er sich bewegen kann, eine Stellung, und das ist die allgemeine Meinung, die öffentliche Meinung, das Urteil, das man über ihn hat, oder mit andern Worten: die Ehre oder der gute Name, der gute Leumund (8. Gebot, 4. Bitte, 7. Bitte). Darauf ruht alles Vertrauen und der Glaube, ohne den niemand in der Gemeinschaft bestehen und fördernd wirken kann. Daher bedarf die Ehre und der gute Name des Nächsten besonderer gewissenhafter Schonung, umsomehr, als derselbe leichter zu beschädigen als wiederherzustellen ist. Daher soll man böse Gerüchte und nachteilige Urteile über den Nächsten mit großer Vorsicht aufnehmen, womöglich ihn entschuldigen, Gutes von ihm reden, wenn andre sein Gutes verschweigen und nur sein Böses hervorheben, und alles zum Besten kehren, d. h. sein Thun und Lassen möglichst gut auslegen. Das fordert die Liebe im Bunde mit der Wahrheit. Beide sollen Zunge und Mund des Menschen regieren. Sie geben allein die Regel an die Hand, was man reden und verschweigen, wann man reden und schweigen soll. Denn so gewiß all unser Reden ein Ausdruck der Wahrheit, Lauterkeit und Aufrichtigkeit, nicht minder aber der demütigen, tragenden, barmherzigen Liebe sein muß: so gewiß ist, daß man nicht alles, was wahr ist, sagen darf; Schweigen ist eine ebenso große Kunst als richtig zu reden. Mannestugend ist, anvertraute Geheimnisse bewahren zu können. Wer das kann, ist ein treuer, zuverlässiger, auch in anderen Dingen vertrauenswerter Mann. Wer immer die Wahrheit zu reden beflissen ist, den nennt man wahrhaftig. Wahrhaftigkeit und Treue im Halten des gegebenen Versprechens, auch wenn es zum eigenen Nachteil gereicht, sind leuchtende Tugenden, der festeste Kitt menschlicher Gemeinschaft, einst an den alten Deutschen gerühmt, jetzt aber immer seltener bei den Jungen. Die Treue im Wort hat die treumeinende Gesinnung, die Liebe zur Wurzel, und hier zeigt sich abermals die Einheit der Wahrheit und der Liebe. Da wohnt und bleibt auch der edle Friede.

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 Nicht immer aber kann man den Nächsten, den Bruder schonen mit dem Wort; das würde ihm oft den größten Schaden bringen. Die Liebe muß auch scharf sein, angreifen und strafen können, wenn der Nächste ein Ärgernis, einen Anstoß durch seinen sündigen Wandel gibt, Gal. 2; 2. Thess. 3. Es ist ein Unterschied zwischen Nächsten und