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ganzes Leben von der sittlich erneuernden Lebenskraft durchdringen läßt, 2. Tim. 3, 5. Die äußere Gestalt der Frömmigkeit haben sie, aber die Kraft derselben, die rechte Beweisung im Leben und Wandel, die sittliche Frucht der Frömmigkeit, die fortwährende Besserung des Lebens wollen sie nicht, weil sie dadurch in ihrer fleischlichen Ruhe und Sicherheit gestört würden. Da gibt es dann diese Zwittergestalt, wo man bei weltlicher, fleischlicher Gesinnung nach außen durch Teilnahme am Gottesdienst, fromme Reden und einzelne Werke den Schein der Frömmigkeit zu erwecken sucht. Hier wird die Frömmigkeit ganz um ihre Lauterkeit und Einfalt gebracht; denn Frömmigkeit ist ja Lauterkeit, die nichts sucht, als Gott zu gefallen, während bei diesem Zerrbild der Frömmigkeit die Absicht ganz und gar auf das, was die Menschen sagen, gerichtet ist, auf den Eindruck, den sie bekommen. Der Typus dieser Verzerrung der wahren Frömmigkeit ist ausgeprägt im Pharisäertum. Äußere Scheinheiligkeit, äußerer Wandel nach den Geboten des HErrn, aber nur soweit das menschliche Auge reichte und Absehen auf das Wohlgefallen und die Bewunderung der Leute, dabei Haß gegen die Wahrheit Christi und arge sittliche Schäden gehen Hand in Hand. Immerhin kann auch ein Heuchler dieser Art sich noch selbst in gewissem Maße betrügen. Es kann der Selbstbetrug der Heuchelei dem Menschen das richtige Urteil über sich selbst, die richtige Selbsterkenntnis trüben. So waren auch die Pharisäer befriedigt mit dem Außenwerk, ohne sich des Zwiespaltes, der Auseinanderreißung von frommem Wandel und der rechten Herzensstellung zu Gott recht klar zu werden. Dies kann noch als ein mildernder Umstand bezeichnet werden. – (Eine Form der Heuchelei ist auch die Bigotterie, wiewohl sie zum Teil auch auf falscher Auffassung des Christentums beruht.)

 3. Wenn aber einer bewußt heuchelt, trotzdem er entlarvt ist, und, trotzdem ihm die Augensalbe der Selbsterkenntnis gereicht worden ist, in seinem Zustand beharrt, dann wird die Frömmigkeit zu einer Lüge, sie ist nicht mehr bloß Selbstbetrug, und hier wird dann der Mensch, wenn die sittliche Zerstörung weiter fortschreitet, zur Judasgestalt, die noch schlimmer ist als die der Pharisäer. Da wird die Heuchelei festgehalten trotz des erwachten Gewissenszeugnisses, der Heuchler wird zum Lügner, dem Teufel ähnlich, Kind dessen, der in der Schrift Vater der Lüge genannt wird. Bewußte Heuchelei führt unmittelbar zum Verlust der Seligkeit. Also das Maß des bei der Heuchelei vorhandenen Bewußtseins bestimmt die Größe der Schuld der Heuchler.