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in Betracht und werden maßgebend für die Betrachtung, denen der Christ bei seinem Verhalten gegenübersteht, Gott, die eigene Person, der Nächste (der Bruder, die Gemeinschaft). Die Lebensaufgabe bringt die Pflicht vor Augen, das Ideal, nach dem der Christ strebt, das Musterbild, welches zeigt, wie sie gelöst werden soll, aber auch – wenn die Leistungen betrachtet werden – so viel davon gelöst ist, das ist vorhandene Tugend, und da die nicht vollkommen ist, die Mängel, Untugenden und Laster. Dieser Spiegel dient zur Selbstprüfung und richtigen Selbstschätzung.


§ 48.
Das Verhältnis zu Gott.

 1. Die Tugend in ihrem richtigen Verhalten Gott gegenüber heißt Frömmigkeit, Gottseligkeit (εὐσέβεια), cf. § 45; sie ist Gottesgabe und Frucht eigener Übung, 1. Tim. 4, 7. 8. Sie hat etwas Einheitliches und Universelles. „Sie ist die Mutter aller Tugenden“ (Harleß) und „der Inbegriff aller Sittlichkeit“ (Wiesinger).

 2. Das Wesen der Frömmigkeit. Ihr Grund ist Religion, Wiedergeburt und Bekehrung, der rechtfertigende und erneuernde Glaube, also die Gnaden- und Liebesgemeinschaft mit Gott in Christo Jesu. Diese zu erhalten und sich immer tiefer in sie zu versenken, alle Lebensverhältnisse mit ihr zu durchdringen und dieselben auf sie zurückzuführen, ist ihr Ziel. Ihr Werk ist Erbauung und Förderung in Anbetracht der eigenen Person und des Nächsten, der Gemeinschaft, des Reiches Gottes, d. h. mit Erfolg verbundene Arbeit an der Vollendung des göttlichen Lebens in den einzelnen und am Ganzen. Das erbauende Element ist die Liebe.

 Der Christ ist, wie die Kirche, ein Tempel Gottes; der soll erbaut werden zu einer würdigen Wohnung Gottes; er ist aber auch ein Priester Gottes, der an seinem Tempel Mitarbeiten und Gott darinnen dienen soll. Die Frömmigkeit ist ihrem Wesen nach innerer Gottesdienst des Herzens, Andacht. Die Wesenserscheinungen der Frömmigkeit sind Lauterkeit und Einfalt (s. o.) im Gegensatz zum Schein (s. u.).

 3. Die äußere Erscheinungsform der Frömmigkeit ist:

 a. Die stetige und andächtige Übung des äußeren Gottesdienstes, des äußeren geformten Kultus, sei es

einsam im Kämmerlein mit Gebet, Betrachtung des Worts und seiner eigenen Seelenzustände, Aufopferung seiner selbst, oder
im öffentlichen Gottesdienst in der Gemeinschaft der Heiligen