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Weise bestimmen. Folgt man dem Sprachgebrauch, so versteht man unter Anfechtung die spezifisch geistlichen Versuchungen, hohe Anfechtungen, bei denen der Mensch um seinen Glauben gebracht werden soll, während man unter Versuchung mehr die Reizung versteht, welche durch Fleisch und Welt bewirkt wird. Auch pflegt man eine Versuchung, die durch Leiden bewirkt wird, Anfechtung zu nennen. Es ist die Frage, ob diese Unterscheidung völlig begründet ist. Löhe unterscheidet in seinem Hausbuch zwischen einem höheren und einem niederen Grad, zwischen Anfechtung und Versuchung. Anfechtung ist eine hohe Bedrängnis der Seele und entsteht, wenn der Mensch auf die Versuchung innerlich eingegangen ist (Johannes der Täufer), sodaß sie in ihm übermächtig zu werden droht, und die höchste Gefahr ist, ob er sich ihrer auch noch erwehren könne. Versuchung wäre dann ein niederer Grad. – Die Versuchung im engeren Sinne geht nach der heiligen Schrift vom Teufel aus, wie beim ersten Adam im Paradies und bei Christo, dem zweiten Adam, in der Wüste, Eph. 6, 11; 1. Petr. 5, 8; 1. Chron. 22, 1 (wobei höchst wichtig ist, daß in der Parallelstelle 2. Sam. 24, 1 der Zorn Gottes wider Israel als die Ursache der Versuchung bezeichnet wird). Die vom Teufel ausgehende Versuchung muß nicht immer eine von ihm unmittelbar gewirkte sein; er kann sich auch der Welt und des Fleisches, der sündlichen Natur, bedienen und die Absicht ist – weswegen die Versuchung nur immer an Christen herantreten kann – den Menschen wieder aus dem Reich Gottes in das Reich des Teufels zu bringen. Die Vorbereitung zur Versuchung, resp. die Ermöglichung derselben, besteht darin, daß, wie die Schrift sich ausdrückt, Gott den Menschen verläßt, d. h. nicht als gnädiger Gott in dem Sinn sich erweist, daß er mit Bezeugungen seiner Nähe ihn unterstützte, daß er sich zurückzieht, was 2. Chron. 32, 31 mit Verlassen bezeichnet wird: „Gott verließ den Hiskia“, er überließ ihn sich selbst, daß er ihn versuchte, damit sich herausstellte alles, was in seinem Herzen war. (Hievon hat man zu unterscheiden das scheinbare Sich-Zurückziehen Gottes von dem Gläubigen, der nach ihm begehrt, Ps. 31, 23, da der Gläubige nichts von Gott empfindet. Dies ist eine Versuchung zum Guten.)

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 Das Mittel, dessen sich der Satan bedient, um uns in der Versuchung zu fällen, besteht darin, daß er versucht, das Wort Gottes aus unseren Herzen zu reißen. Daher ja auch Luther sagt in der Auslegung der 6. Bitte: Der Teufel wolle uns in Mißglauben, Verzweiflung